Die FPÖ hat ein Monopol auf Oppositionspolitik

Die SPÖ hat allen, die von ihr enttäuscht sind, erfolgreich Heinz-Christian Straches FPÖ empfohlen. ÖVP und Grüne wollen oder können nicht Opposition sein.

Für die richtige Interpretation des Ergebnisses der Wiener Gemeinderatswahl muss man weder Politologe sein noch einen Hirnchirurgen konsultieren (der ORF hätte es also ruhig mit der eigenen journalistischen Mannschaft versuchen können): Die FPÖ gewinnt alles, was alle anderen verlieren. Am meisten gewinnt sie von der bisher absolut regierenden Bürgermeisterpartei SPÖ.

Was heißt das? Das heißt, dass Heinz-Christian Strache in Wien über ein Monopol auf die Unzufriedenen und damit ein unabsehbares Wachstumspotenzial verfügt, während die Reichweite aller anderen Parteien über ihren engeren Anhängerkreis nicht mehr hinauskommt. Das betrifft nicht nur, aber vor allem Straches Hauptthemen Zuwanderung und Integration. SPÖ und Grüne, die sich in dieser Frage scharf von der FPÖ abgegrenzt haben, können nicht einmal die eigenen Anhänger davon überzeugen, dass sie das Thema Integration „beherrschen“, die ÖVP hat mit ihrem „Strache light“-Kurs die erwartbare Abfuhr erhalten.

Die Hauptverantwortung für den Triumph der FPÖ trägt die Bürgermeisterpartei. Zunächst gibt es da so etwas wie ein „natürliches Verlustpotenzial“. Dass eine so lange mit absoluter Macht regierende Partei, die verlernt hat, zwischen sich und der Stadt zu unterscheiden, Stimmen verliert, ist fast selbstverständlich. Die Fleißaufgabe der SPÖ-Strategen bestand darin, den Wahlkampf ganz auf die Frage „Häupl oder Strache“ zuzuschneiden. Das Oppositionsmonopol für die FPÖ, das mit diesem Wahlergebnis manifest wurde, beruht gewissermaßen auf einem Vorschlag der regierenden SPÖ.

Sie hat den Unzufriedenen, die weder vom Filz noch von der Rundumversorgungspolitik der Rathausmächtigen profitieren, signalisiert: Wenn ihr uns nicht wollt, wählt Strache. Und sie hat den Krisenverlierern, die ihren persönlichen Abstieg den Zuwanderern zuschreiben, die FPÖ ans Herz gelegt.

Diese Unzufriedenen sind überall auf der Welt das Reservoir der Oppositionsparteien. In Wien ist das nicht so. Weder die Grünen noch die ÖVP sind bereit oder in der Lage, Oppositionspolitik zu machen. Das Hauptanliegen der beiden Spitzenkandidatinnen war ein Platz an der Sonne, als Vizebürgermeisterin neben Michael Häupl. Beide haben zu Recht verloren: Warum sollte jemand, der mit der Politik der Häupl-SPÖ unzufrieden ist, jemanden wählen, der nichts sehnlicher wünscht, als Teil des Establishments zu sein? Besonders in der ÖVP wird man sich wohl langsam etwas grundsätzlichere Gedanken machen müssen: Warum geht das eigentlich prinzipiell nicht, ÖVP und Wien?

Wäre die ÖVP nicht so katastrophal abgestürzt, hätte man nach diesem Ergebnis mit der üblichen rot-schwarzen Koalitionsvariante rechnen müssen. Das ist aber überhaupt nur denkbar, wenn Christine Marek zurücktritt. Dann könnte Häupl versucht sein, mit einem Marek-Nachfolger zu koalieren, weil das für ihn „billiger“ wäre. Allerdings wird es innerhalb der Partei wohl kräftigen Druck in Richtung Grün geben.


Heinz-Christian Strache wird während der nächsten Tage und Wochen mit Genuss die Ausgrenzungskarte spielen. Und damit dasselbe Spiel spielen, das Jörg Haider so erfolgreich die ganzen 90er-Jahre über gespielt hat. Als Oppositionsmonopolist gegenüber einer ängstlichen Großen Koalition und neben einer grünen Partei, deren programmatischer Radius über die Abgrenzung nach rechts nicht hinauskommt, wird die FPÖ bis zur nächsten Nationalratswahl auch auf Bundesebene dort sein, wo sie jetzt in Wien angekommen ist: bei 27 Prozent.

Es kein Zufall, dass das jener Wert ist, den Jörg Haider 1999 erreicht hatte. Erst durch den Coup des Wolfgang Schüssel, der mit Haider eine international geächtete Koalition einging, war Haiders Höhenflug zu Ende. In der Regierungsverantwortung verlieren habituelle Oppositionsparteien ihre Attraktivität.

Der Wiener Bürgermeister wird in Sachen FPÖ nicht über seinen Schatten springen (der ist ja auch etwas größer als der von Wolfgang Schüssel). Aber es wird ihm mehr einfallen müssen als der majestätsbeleidigte Grant, den er am Wahlabend vor sich hertrug.

michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2010)

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