Euro-Schuldenkrise: Ohne Notbremse in der Todesspirale

Die Eurozone wird sehr schnell einen Weg finden, wie man die Financiers der Pleitestaaten an den Verlusten beteiligt.

Haben Sie irische Staatsanleihen? Schön für Sie: Sie lukrieren hohe Zinsen und wir alle garantieren seit gestern mit unseren Steuerzahlungen dafür, dass Ihnen das doch beträchtliche Ausfallsrisiko, für das Sie diese hohen Zinsen bekommen, abgenommen wird. Sie sollten, weil es so gut funktioniert, weiterdenken: Auch für portugiesische Staatsanleihen gibt es schon recht nette „Risikoaufschläge“ ganz ohne Risiko. Denn auch Portugal werden wir mit unserem Euro-Rettungsschirm demnächst „heraushauen“. Und dann kommt vielleicht Spanien. Danach Italien. Dann wieder Griechenland, das ja kurz nach der „Rettung“ schon wieder zu „schwimmen“ beginnt. Und dann?

Die „Todesspirale“, in der die Eurozone derzeit finanziell nach unten rast, sieht wirklich beängstigend aus. Noch beängstigender ist aber, dass niemand die Notbremse findet. Sondern dass die Lenker permanent damit beschäftigt sind, die Karre gerade noch in der Kurve zu halten. Wobei jede mit Müh und Not geschaffte Drehung die Fahrt weiter beschleunigt.

So gesehen schaut die Gelassenheit, die die ratlosen Eurolenker nach außen demonstrieren, ein wenig aufgesetzt aus. „Sind ja nur Garantien“, haben Finanzminister Josef Pröll und Außenminister Michael Spindelegger gestern beruhigt. Die scheinen in keinem Maastricht-Defizit auf und erfordern auch keine direkte Neuverschuldung des Bundes. Vorausgesetzt natürlich, sie werden nicht „schlagend“. Und wenn doch? Wenn das so locker zu sehen ist, wäre die vorjährige Aufregung um das Land Kärnten, das Haftungen im zehnfachen Ausmaß des Landesbudgets übernommen hatte, doch ein wenig überzogen gewesen.

Österreich haftet derzeit mit ungefähr 35 Milliarden Euro im Rahmen des Bankenrettungspakets für Verbindlichkeiten seiner Banken. Weitere 12,4 Milliarden sind für den Euro-Rettungsschirm reserviert – der wohl ausgereizt werden wird. Insgesamt sind das ungefähr vier Fünftel der jährlichen Gesamteinnahmen des Bundes. Das wäre im Ernstfall gerade noch zu „packen“, wenn auch um den Preis einer schlagartig um ein Viertel ausgedehnten Horror-Staatsverschuldung. Schlimm ist aber, dass es – in ganz Europa – kein wirkliches Konzept für „danach“ gibt. Dafür nämlich, wie man diesen Teufelskreis durchbricht.

Indem man zum Beispiel praktikable Regeln aufstellt, wie Staatspleiten abzuwickeln sind. Und wie man Banken geregelt in den Konkurs schickt, ohne das gesamte Finanzsystem zu gefährden. Derzeit ist in diesem Bereich Risiko – und damit Marktwirtschaft – ja praktisch ausgeschaltet. Was es Finanzinstituten erlaubt, sehr riskant zu agieren – und das Risiko dem Steuerzahler umzuhängen.

Denn eines ist klar: Die EU rettet jetzt nicht Irland, sondern die Banken, die massiv Irland-Anleihen halten. Vor allem also die deutschen und die britischen (sonst würde das Nicht-Euromitglied Großbritannien nicht freiwillig beim Hilfspaket mitzahlen). Sie hat im Fall Griechenland auch primär die Banken gerettet (diesfalls wieder die deutschen und französischen). Und das wird so bis zum bitteren Euro-Ende weitergehen. Wenn es nicht gelingt, diesen gordischen Knoten zu durchschlagen.


Wenn selbst die konservative deutsche „FAZ“ schon mosert, es sei unter diesen Aspekten verdammt zynisch, wenn Commerzbank-Vorstandschef Martin Blessing meint, dass aus der Bankenkrise eine Staatskrise geworden sei, und der auch nicht gerade als Staatsinterventionist bekannte deutsche Wirtschaftsforscher Hans Werner Sinn eine „Achse zwischen der EU und den Banken“ sieht, die für Letztere sehr profitabel ist – dann sollte die Politik einmal mehr tun, als immer nur die Steuerzahler anzapfen. Das wird langsam langweilig.

Anders gesagt: Wir werden entweder sehr schnell einen Weg finden, dass wieder marktwirtschaftliche Vernunft in das System einkehrt (was bedeutet, dass im Falle einer Staatspleite die Anleihegläubiger zahlen, was Staaten wohl eher zu wirtschaftlicher Disziplin zwingen würde). Oder das Experiment Euro wird in einem großen Knall mit maximalem Vermögensverlust für alle enden. Viel Zeit bleibt nicht mehr, das Steuer herumzureißen. Seite 1

E-Mails an: josef.urschitz–@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2010)

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