Hoffnung ist eben ein christliches Prinzip

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Die Austrittswelle ist weniger überraschend als ihre möglichen Auswirkungen. Und sie ist eigentlich nicht einmal wirklich eine Welle.

Leitartikel

Nicht das wichtigste Problem, das die katholische Kirche hierzulande hat, aber das erste, das an Tagen wie diesem ins Auge fällt, ist ein statistisches: Fast überall auf der Welt wird die Größe der Kirche an zwei Parametern gemessen – an der Zahl der Getauften und an der Zahl der Messbesucher. Nur in Österreich, der Schweiz und Deutschland gibt es eine Art Vereinsmitgliedschaft der Katholiken, weil sie die offizielle Möglichkeit haben auszutreten – wenn auch nur aus der öffentlich-rechtlichen Körperschaft, deren Mitglieder bloß zwei Eigenschaften aufweisen müssen: Taufe und Zahlung des Kirchenbeitrags.

Die Fokussierung auf diese Anomalie verzerrt den Blick auf den Transformationsprozess der katholischen Kirche. Nur der heurige Anlass der Austrittswelle ist evident, aber die Umstände bleiben im Dunkeln: Ob sich die Menschen längst von der Kirche abgewandt haben, ihr vielleicht nie nahegestanden sind, anderswo eine überzeugendere religiöse Heimat gefunden oder keine andere Möglichkeit des Protests gesehen haben – man sollte ohne Motivforschung nicht voreilige Schlüsse ziehen, was da los ist.

Außerdem hat das hiesige Kirchensystem die Eigenschaft, selbst sein Problem zu verschärfen. Wenn jemand anderswo nicht mehr dazugehören mag, geht er einfach nicht mehr in die Messe – und aus. In Österreich wird er aber vom Kirchenbeitragserlagschein gezwungen, drastisch Stellung zu beziehen: Breche ich die Brücken endgültig ab – oder nicht? Die Normalität des religiösen Lebens ist aber nicht die Eindeutigkeit, sondern das Schwanken: Mal glaubt man mehr, mal weniger. Und die Zustimmung zum sichtbaren Bild der Kirche schwankt genauso – mal mag man sie mehr, mal weniger. Ein System, das zu einer eindeutigen Entscheidung nötigt und das einer späteren Umentscheidung Hürden in den Weg legt, wird dem menschlichen Mäandern in Glaubens- und Kirchenfragen nicht gerecht: Als Ausgetretener findet man schwerer zurück denn als bloß Abgewandter. Auch das verzerrt das Bild.

Aber es gibt für die Kirche keinen Grund, sich auf die bequeme Position zurückzuziehen, die Austrittszahlen spiegelten nur den Vollzug einer längst erfolgten Abkehr der Taufscheinkatholiken wider, während die Zahl der wirklich Gläubigen, gemessen an der aussagekräftigen Zahl, dem Kirchenbesuch, stabiler sei. Denn das ist falsch: Prozentuell geht der Kirchenbesuch immer noch rascher zurück als die Kirchenmitgliedschaft. Von 2003 bis 2009 (für 2010 gibt es dafür noch keine Zahlen) ist die Zahl der Messbesucher an den beiden „Zählsonntagen“ im Jahr um insgesamt 18 Prozent zurückgegangen. Die Zahl der Kirchenmitglieder ist hingegen seit 2003 selbst unter Einrechnung des Katastrophenjahres 2010 nur um 5,2 Prozent gesunken.

Das legt den Schluss nahe, dass die katholische Kirche trotz des schlechten Bildes in der Öffentlichkeit und der Missbrauchsmisere weniger ein institutionelles Problem als ein spirituelles hat: Die Nachfrage nach ihrem geistlichen Angebot geht stärker zurück als die Mitgliedschaft im „Verein“, von dem sogar im absoluten Katastrophenjahr 2010 nur knapp 1,6 Prozent der zahlenden Mitglieder Abschied genommen haben.


Aber Halt: Die relativ niedrigen tatsächlichen Austrittszahlen (zwei Umfragen haben im Frühjahr ergeben, dass eine knappe Million Katholiken einen Austritt erwägen) könnten auch damit zu tun haben, dass sich die Menschen weithin immer noch aus Traditions- und Familiengründen nicht zu lösen trauen und in diesem Nicht-so-können-wie-man-eigentlich-will-Dilemma ihre Vater- und Autoritätskomplexe auf eine Kirche übertragen, die ihnen dann als Institution übermächtig vor Augen steht und so den Blick auf das Spirituelle verdeckt.

Weil die Jüngeren weniger psychologische Hemmschwellen haben, werden wohl die Austrittsentscheidungen künftig auch ohne Missbrauchsskandale häufiger werden. Damit würde dann nicht nur ein realistischeres Bild der heute noch illusionär überzeichneten Stärke des Katholizismus in Österreich entstehen. Die größere innere Freiheit, die hier zutage kommt, könnte auch den scheinbar paradoxen Effekt haben, dass die Menschen wieder einen freieren Blick auf das spirituelle Angebot der Kirche bekommen. Spannende Zeiten jedenfalls, und nichts ist so eindeutig, wie es scheint.

E-Mails an: michael.prueller@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2011)

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