Die seltsame Sehnsucht nach Charisma

Langeweile ist geradezu ein Markenzeichen funktionierender Demokratien. So gesehen funktioniert das Kabinett Faymann/Spindelegger vielleicht zu gut. Doch Führerhelden braucht auch niemand.

Seit Karl-Theodor zu Guttenberg nicht mehr Verteidigungsminister und Guido Westerwelle zur Karikatur eines Außenministers geschrumpft ist, macht sich in Deutschland ein ziemlicher Charisma-Kater bemerkbar. Zampanos wie Gerd Schröder oder Joschka Fischer sind ja schon vor längerer Zeit abgetreten. Mittlerweile regieren graue Mäuse, die nach dem Takt einer spröden No-Nonsense-Direktorin namens Angela Merkel ihre unspektakulären Runden ziehen. Und wie das bei einem Kater nach dem Rausch nun einmal so ist, verdammen die einen im Rückblick das unsinnige Delirium, während die anderen die Euphorie schmerzhaft vermissen. In ein ähnlich depressives Loch sind die Verehrer von Barack Obama gefallen, seit der US-Präsident seinen messianischen Glanz verloren hat.

In Österreich stellt sich das Problem anders dar. Politiker mit Ausstrahlung sind hier schon länger nicht aufgefallen; wenn man der Überlieferung glauben darf, gab es seit 1945 nur gezählte zwei charismatische Exemplare: Bruno Kreisky und – mit Abstrichen – Jörg Haider. Die jahrelange Gewöhnung ans Mittelmaß scheint jedoch die Sehnsucht nach dem mitreißend Außergewöhnlichen nicht abgeschwächt zu haben. Nach jeder Wahl, nach jedem Obmannwechsel, nach jeder Regierungsbildung wird von Neuem die Klage angestimmt, wie mickrig doch das politische Personal mittlerweile geworden sei. Möglicherweise gelingt der Radikalentzug vom Wunsch nach strahlenden Helden nun mit dem Kabinett Faymann/Spindelegger.

Doch brauchen Demokratien überhaupt Charisma, um zu funktionieren? Brauchen wir im 21. Jahrhundert den (vor allem noch in landesfürstlichen Revieren gepflogenen) Führungsstil von Ugga-Ugga-Silberrücken, die Verehrung dulden, aber keinen Widerspruch? In der klassischen Typologie des deutschen Soziologen Max Weber war die charismatische Herrschaft eher vordemokratischen Regierungsformen zugeordnet. Charismatische Autorität beruhe auf dem Glauben an den Propheten, sei ganz persönliche Hingabe, aus Begeisterung oder Not und Hoffnung geboren, schrieb Weber zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts. Ein paar Jahre später kam dann ein Politiker aus Österreich, der dieses Prinzip auf die Spitze trieb.

Ganz so inbrünstig sollte man also vielleicht doch nicht von glanzvollen Führerhelden träumen. Farblose Bürokraten, die ihre Entscheidungen vernünftig, auf der Grundlage von Gesetzen zum Nutzen des Gemeinwohls fällen, haben im historischen Rückblick betrachtet ganz offensichtlich weniger Schaden angerichtet und mehr vorangebracht als Blender mit selbstherrlichen oder gar diktatorischen Zügen.

Dauererregung. Man kann sogar noch weiter gehen: Es ist geradezu ein Markenzeichen funktionierender Demokratien, dass sie ein gewisses Maß an Langeweile verströmen, (wobei man es auch übertreiben kann). Das verträgt sich jedoch immer weniger mit den Bedingungen einer Mediengesellschaft, die zunehmend auf Vereinfachung, Dauererregung, Polarisierung und Personalisierung fixiert ist. Ein solches System braucht jeden Tag einen neuen Hype, einen neuen Stern, der umso schneller verglüht. Dabei hat sich die Bastard-Hybridform des Tontauben-Journalismus herausgebildet, in dem Politiker hochgeschrieben werden, um sie nachher besser abschießen zu können.

Die bevorzugte intellektuelle Währung in dieser Form des politischen Diskurses ist die Verteilung von Haltungsnoten. Beurteilt werden nicht Inhalte, sondern persönliche Eigenschaften von Politikern. Der Charakter von Politikern ist für die Gesamtbewertung nicht unerheblich – und die Sehnsucht nach interessanten, überdurchschnittlich begabten Bundeskanzlern und Ministern legitim, gerade in einem muffigen Parteien- und Verbändesystem wie in Österreich. Der Ruf nach charismatischen Politikern ist jedoch nicht nur angesichts der real existierenden Regierung lächerlich. In welchen anderen gesellschaftlichen Bereichen tummeln sich denn hierzulande Charismatiker? Im Journalismus?

christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.04.2011)

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