Der Plagiatsjäger versteht den Sinn einer Dissertation falsch

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Es mag sinnvoll sein, nach Plagiaten zu stöbern. Wichtiger ist: Eine Doktorarbeit soll und muss über originelle, eigenständige wissenschaftliche Forschung berichten.

Leitartikel

Nein, sympathisch ist es nicht, wenn alte Dissertationen auf abgeschriebene Passagen durchstöbert werden, um – oft Jahrzehnte danach – einem Akademiker seinen Titel streitig zu machen. Es hat einen Hauch von Sykophantentum, volkstümlicher gesagt: von Vernaderei; und man darf auch fragen, ob solche Taten nicht nach einiger Zeit – sagen wir: nach 15 Jahren – als verjährt angesehen werden sollten.

Sei's drum. Wenn diese Aufarbeitung (proto-)akademischer Vergangenheiten einem guten Zweck dient, dann wird man in Kauf nehmen, dass sie ein bisschen an den Ruf „Bitte, Herr Lehrer, der Alex wollte von mir abschreiben!“ erinnert. Der gute Zweck liegt auf der Hand: die Verbesserung des Niveaus der Arbeiten, die zu einem akademischen Titel führen, damit die Steigerung der Achtung vor wissenschaftlicher Arbeit. Denn eine Dissertation ist kein besserer Maturaaufsatz, sondern der Bericht über geleistete Forschungsarbeit und ihre Ergebnisse. (Dieser Satz ist übrigens beinahe ein Selbstplagiat, ich habe ihn umformuliert, damit Sie mir nicht durch geschickten Gebrauch des „Presse“-Online-Archivs draufkommen.)

Vor allem in den Naturwissenschaften ist es üblich, dass eine Dissertation (auch) Ergebnisse enthält, die bereits in Fachzeitschriften publiziert sind oder bald dort erscheinen werden. Das mindert den Wert der Doktorarbeit nicht, es erhöht ihn. Eine Dissertation aus Physik oder Genetik, deren Inhalt nicht auch in mindestens einer Publikation verwertet wird oder wurde, ist nicht viel wert.

Bei der Habilitation, dem nächsten Schritt in der akademischen Karriere, ist das „Selbstplagiat“ längst institutionalisiert: Eine „kumulative Habilitation“ besteht aus mehreren Originalartikeln, die mit einem Vorwort versehen sind. In vielen Ländern sind auch schon „kumulative Dissertationen“ gang und gäbe.

So wirkt es etwas anachronistisch, wenn der „Plagiatsjäger“ Stefan Weber nun dem grünen Politiker Peter Pilz vorwirft, er habe eine „Studie einfach in seine Dissertation hineinkopiert“. Was Pilz ja zugegeben hat, wenn auch mit der beschönigenden Formulierung, die Dissertation „fuße“ auf der Studie.

Ein wenig problematisch ist, dass die Studie von zwei Autoren war, die Dissertation aber zwangsläufig nur Pilz' Namen trägt. Solche Fälle sind in der Naturwissenschaft, in der die meisten Publikationen mehrere Autoren haben, alltäglich und werden meist ohne Streit und Neid gelöst. Pilz hat es sich wohl allzu leicht gemacht: Zwei, drei Wochen zur Überarbeitung und Klärung dieser Fragen hätte er sich gönnen sollen.

Weber freilich bestünde darauf, dass Pilz die gesamte Arbeit neu schreiben muss. Das entspricht dem Bild, das der Medienwissenschaftler Weber offenbar von wissenschaftlicher Arbeit hat: Für ihn zählt vor allem die schreiberische Leistung und nicht die forscherische. Das mag in seiner Disziplin so sein, vielleicht, weil ihr die Themen ausgehen. Man entschuldige die Polemik, aber dieses Argument hört man wirklich oft: Es sei doch in den Geistes- und Kulturwissenschaften schon alles erforscht, wer wird da so unrealistisch und/oder hartherzig sein und die Studierenden auf originelle Arbeiten drängen?


Natürlich ist das nicht so, es eröffnen sich auch z.B. in der Altphilologie oder in der Numismatik immer wieder interessante neue Fragestellungen, sie drängen sich nur nicht so auf wie in der Biochemie oder Festkörperphysik. Wenn aber in einem Studienfach tatsächlich die interessanten Themen für Dissertationen rar werden, dann gibt es eine logische Reaktion: Dann muss man eben bewirken, dass weniger Maturanten mit diesem Studium beginnen. Auch das ist ein Argument für das, was man unschön „Studienplatzbewirtschaftung“ nennt.

Um diese wird man nicht herumkommen. Es ist sinnlos, Jahr für Jahr Horden von mäßig begeisterten Studenten durch Studien wie Psychologie, Publizistik, Soziologie zu schleusen. Nicht nur, weil auf die Absolventen keine entsprechenden Arbeitsplätze warten. Sondern vor allem, weil die Massenabfertigung das Niveau dieser Studien drückt, weil sie Langweile und mangelnde Originalität fördert. Und das sind die größten Feinde spannender und produktiver universitärer Forschung, nicht Selbstplagiate.

E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2011)

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