Die vier Optionen Europas

Die EU steht am Wendepunkt. Die Banken ahnen das schon. Sie bereiten sich auf den Zerfall oder gar das Ende der Eurozone vor. Wenn das eintritt, liegt das gesamte europäische Projekt in Trümmern.

Es ist mehr als bloße Angstlust, wenn sich rund um den Globus Banken auf einen Zerfall der Eurozone einstellen. Dahinter stecken nüchterne Berechnungen. Was vor ein paar Monaten als undenkbar gegolten hat, ist nicht mehr ausgeschlossen: Ein Zusammenbruch der europäischen Währung liegt im Bereich des Möglichen. Wie wahrscheinlich das Szenario ist, darüber spekuliert man besser nicht; das besorgen schon andere.

Auf dem Spiel steht viel. Ist der Euro einmal perdu, wäre das gesamte europäische Projekt gefährdet, eine Rückabwicklung der EU die logische Folge. Und wenn einmal der Rückwärtsgang eingelegt ist, kann niemand so genau sagen, wo die Fahrt endet: ob in einer Freihandelszone oder hinter wenig friedfertigen, protektionistischen Wällen.

Europa steht vor vier Alternativen: Es kann versuchen, den Euro mit allen Mitteln, also auch mit der EZB-Notenpresse, zu retten und sich irgendwie durchzuwursteln. Das jedoch schürt die Inflation in Europa und ist den Bürgern in den verbleibenden Triple-A-Nettozahlerländern kaum zuzumuten. Plan B kommt auch aus der Fleischerabteilung: Europa wurstelt weiter und stürzt sich gleichzeitig in eine Fiskalunion. Das Problem dabei sind die mangelnde politische Entscheidungsfähigkeit, die sich zuletzt deutlich gezeigt hat, und der Europa-Überdruss in der Bevölkerung. Plan C: Eine Avantgarde setzt sich im Euroraum ab und forciert die Vertiefung, ohne auf die anderen zu warten. Der Haken: Europa zerfällt in eine Mehrklassengesellschaft. Dieser Weg ist jedoch ohnehin bereits durch die Euro- und Schengenräume vorgezeichnet, denen ja auch nicht alle EU-Mitglieder angehören. Es ist die beste aller schlechten Varianten. Option D wäre der Euro-GAU, der Untergang.

Zerbröselt Europa in seine im globalen Maßstab unbedeutenden nationalen Bestandteile, kann es sich das globale Spiel für den Rest des 21. Jahrhunderts von der Tribüne aus ansehen. Auf der Weltbühne ist auch Deutschland ein Zwerg, so groß es manche Publizisten quer durch den Kontinent derzeit auch schreiben.

Wie unberechtigt die Germanophobie auch sein mag: Alles schaut derzeit auf „Spardiktatorin“ Angela Merkel, als wäre sie in Personalunion der Schrecken und die letzte Hoffnung Europas, die nervenstarke Admiralin, die das leckende blaue Schiff mit den goldgelben Sternchen schon irgendwie in einen sicheren Währungshafen führen wird. Man will ja solche Rettungsfantasien ungern stören, muss aber doch in Erinnerung rufen, dass Merkel in dieser Krise meistens ohne Kompass unterwegs war. Sie zeichnete sich vor allem dadurch aus, in der Schuldenkrise Lösungen zu verzögern und ihre Positionen dann doch zu räumen.

Es wäre nicht überraschend, wenn Merkel auch ihren Widerstand gegen gemeinsame europäische Anleihen aufgäbe. Aber erst dann, wenn es auch für diese ohnedies fragwürdige Option schon zu spät wäre.

Europa ist an einem Wendepunkt angelegt. Bankern ist das schon klar, hoffentlich auch den wesentlichen Politikern.

christian.ultsch@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2011)

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