Der Staat hat sich unser Misstrauen verdient

Wer nichts zu verbergen habe, der habe auch nichts zu befürchten? Es gibt genügend Beispiele, warum auch der etwas zu befürchten hat, der nichts zu verbergen hat.

Alexander Lukaschenko ist nicht der netteste aller Regierungschefs. Europas letzter Diktator geht unbarmherzig gegen Menschen vor, die seinen Regierungsstil, zu dem unter anderem die Unterdrückung von Opposition und Pressefreiheit gehören, kritisieren. Und da kommt die moderne Technologie gepaart mit der Sammlung von Daten gerade recht.

Als im Dezember 2010 tausende Menschen auf dem Oktoberplatz in Minsk gegen Lukaschenko demonstrierten, begingen viele einen schweren Fehler: Sie hatten ihr Handy dabei. Der Diktator zwang die Mobilfunkbetreiber (darunter die A1-Tochter Velcom) zur Herausgabe der Handydaten, anhand derer die Polizei feststellen konnte, wer an jenem Tag auf dem Oktoberplatz war. Hunderte Aktivisten wurden wegen staatsfeindlicher Umtriebe verhaftet.

Damit könnten wir eigentlich schon die Argumentation gegen die ab morgen in Österreich erfolgende Speicherung aller Handy- und Internetdaten beenden. Man darf dem Staat deswegen nicht mehr Rechte geben, weil man ihm nicht trauen kann. Was heute noch für die Fahndung nach Kinderpornoringen genützt wird, setzt man morgen vielleicht schon für die Jagd nach Haschischkonsumenten ein und übermorgen für Menschen, die das Bundesheer kritisieren.

Es gibt viele gute Gründe, warum die Polizei Zugriff auf Handydaten haben soll. Um beispielsweise nach einem Terroranschlag festzustellen, mit wem der Attentäter in Kontakt war, oder, um zu sehen, mit wem er E-Mails ausgetauscht hat. Damit kann man den Kreis der Verdächtigen einengen – aber weitere Täter hat man deswegen noch lange nicht. Die Gefahr ist jedoch groß, dass der Staatsanwaltschaft der Kontakt allein schon genügt, um jemanden sofort als Mittäter hinzustellen.

Unmöglich? Das hat man auch in einem der größten und leider nicht heftig genug kritisierten Justizskandale der Zweiten Republik geglaubt: im Verfahren gegen 13 Tierschützer in Wiener Neustadt. Der Staatsanwalt hatte nur deswegen einen Fall, weil er einen Paragrafen zurechtbog, den das Parlament einst erlassen hatte, um der Polizei Ermittlungen gegen die Mafia oder al-Qaida zu ermöglichen. Aber eine verblendete Staatsanwaltschaft stellte (möglicherweise wirklich überengagierte) Tierschützer 14 Monate lang vor Gericht und ruinierte sie mit horrenden Anwaltskosten – einfach deswegen, weil sie es konnte.

Die Verfechter eines mächtigen Staates erklären stets, dass derjenige, der nichts zu verbergen habe, ja auch nichts zu befürchten habe. Mit diesem Argument können wir freilich alle Grund- und Bürgerrechte ein für allemal abschaffen: die zeitliche Beschränkung einer Festnahme und das Recht auf ein Gerichtsverfahren? Nicht notwendig, weil ein Unschuldiger ja nie von der Polizei festgenommen wird. Das Recht auf Schutz der Privatsphäre? Wozu? Wenn wir in unserer Wohnung nichts Unerlaubtes reden oder tun, kann doch ruhig die Polizei mithören und -sehen. Ein Briefgeheimnis? Überflüssig! Kann doch jeder wissen, was für Belanglosigkeiten wir schreiben.

Und wenn wir gerade dabei sind. Warum sollen wir es bei der Vorratsdatenspeicherung belassen? Nehmen wir doch von jedem Bürger einen Fingerabdruck und eine DNA-Probe. Das würde die Aufklärung von Verbrechen massiv vereinfachen. Und wer nie einbricht, nie etwas stiehlt, wer niemanden beraubt, ermordet oder vergewaltigt, der hat schließlich auch nichts zu befürchten.


Diesen allwissenden Staat, der ja nur seine Bürger schützen will, kennt man von George Orwell, man kennt ihn aber auch von Josef Stalin: Mit der nahtlosen Überwachung von der Geburt bis zum Tod bewahrte man die Bürger nur vor dem kapitalistischen Bösen. Ein interessantes Detail übrigens: Unter Stalin führte die Sowjetunion keine Mordstatistik, weil im idealen Staat ja keine Morde passieren.

Könnten wir uns darauf verlassen, dass der Staat stets das Richtige tut und seine Macht nie missbraucht, könnte man ihm vielleicht tatsächlich weitergehende Rechte geben. Weil wir uns darauf aber nicht verlassen können, empfiehlt sich die Lektüre der Seite 3 („Wie man etwas verbirgt“), um ihm erst gar keine Daten zu geben.

E-Mails an: norbert.rief@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.03.2012)

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