Die Milch und das Gesetz der Schwerkraft

Bei Überproduktion sinkt der Preis. Was ist daran so schwer zu verstehen?

Der Preis, den Bauern für ein Kilogramm Milch bekommen, ist in Deutschland unter 20 Cent gefallen. Das ist eine Katastrophe für die Bauern, denn zu diesem Preis kann zu den hierzulande geltenden Auflagen niemand kostendeckend produzieren.

Der deutsche Landwirtschaftsminister hat schnell reagiert und angekündigt, den Preisverfall mit bis zu 100 Millionen Euro an Direktförderung kompensieren zu wollen. Auch das ist eine Katastrophe, weil es zeigt, dass die Agrarpolitik nicht lernfähig ist.

Der wirklich dramatische Preisverfall der vergangenen Wochen hat nämlich nichts mit der „Geiz ist geil“-Mentalität der Konsumenten zu tun, und sehr wenig mit der problematischen, oligopolartigen Marktmacht der wenigen Handelskonzerne. Aber sehr viel mit einer dramatischen, europaweiten Milchüberproduktion.

Wenn eine gewaltige Überproduktion auf mangelnde Nachfrage trifft, dann sinkt der Preis in einer Marktwirtschaft so lang, bis das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage wiederhergestellt ist. Was ist daran so schwer zu verstehen? Das ist „Marktwirtschaft I, Kapitel 1“.

Natürlich kann man diesen Rückkopplungsmechanismus ausschalten, indem man etwa den Preisrückgang per Subvention kompensiert. Eine wirklich brillante Idee bei Überproduktion!

Man kann natürlich auch Abnahmegarantien zu Fixpreisen einführen. Das ist das Modell Ökostrom beziehungsweise Sowjetunion. Im günstigsten Fall führt das, wie im Fall Ökostrom, nur zu einer völligen Marktzerrüttung. Im ungünstigsten zum wirtschaftlichen Zerfall einer Supermacht.

Im Ernst: Wenn man hier wirklich helfen will, dann gibt es großzügigste staatliche Um- und Ausstiegshilfen für Milchbauern. Aber zu glauben, man könne ein sehr klar definiertes Problem, nämlich Überproduktion, mittels steuerfinanzierter Aufhebung der wirtschaftlichen Schwerkraftgesetze aus der Welt schaffen, ist, nun ja, im günstigsten Fall ein bisschen blauäugig. Das sollte langsam auch der Agrarlobby dämmern. Aber der waren wirtschaftliche Zusammenhänge schon immer egal – solang andere die Rechnung zahlen.

josef.urschitz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.05.2016)

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