„Verrückte kleine Regeln, die keinen Sinn ergeben“

Nicht nur Usain Bolt protestiert gegen überzogene Reglementierung, allerorten regt sich Unmut über die um sich greifende Gängelei.

Die Ferienzeit ist auch deshalb eine schöne Zeit, weil man dann etwa nach Kroatien fahren und außer Erholung auch Birnen mitbringen kann, Glühbirnen, 100er, 80er, 60er, oder sind Letztere doch noch nicht verboten? So macht nicht nur die Not erfinderisch, das Verbot tut es auch, mit ihm bzw. seiner Übertretung hat überhaupt erst die Geschichte der Menschheit begonnen, zumindest steht es so in der Schrift: Erst der Verzehr der verbotenen Frucht ließ den Schweiß der Arbeit strömen und die Schmerzen des Gebärens erleiden, erst deshalb mussten – und durften – Adam und Eva hinaus aus dem ewig gleichen Idyll.

Sie hatten die Chance, ihre Erben hingegen müssen hinein in Welten, in denen sie von Verboten umstellt sind: Da wollte etwa Usain Bolt zum Lockermachen vor dem 100-Meter-Finale in London etwas mitnehmen, was er immer zum Start mitnimmt, ein Gummiband. Ein Security nahm es ihm ab, der nächste herrschte ihn an, er möge sich gefälligst in eine Reihe mit den Konkurrenten stellen. „Sie sagten: ,Das sind einfach die Regeln‘“, berichtete Bolt. „Sie haben verrückte kleine Regeln, die für mich keinerlei Sinn ergeben.“

Nun ja, der Jamaikaner ist einer von den Tänzelnden, die laxere Vorstellungen von Sicherheit und Ordnung haben! Ach was: Ausgerechnet im Hort der Disziplin, in Deutschland, regt sich Unmut über die um sich greifende Gängelei. Die „Süddeutsche“ füllte eine ganze „Seite Drei“ mit einer „Reise durch den Schilderwald“ und zählte an einem Spielplatz in Berlin durch, „wie die Deutschen sich ihrer Freiheit berauben“: Da steht zuerst „geschützter Spielplatz“, dann „Gesetz vom 24.11. 1997“, es folgen Verbote für „Hunde“, „Rauchen“ und „Alkohol“, Falschparker werden natürlich auch abgeschleppt, dann endlich ist man bei den Regeln: „Der Platz ist nur für Menschen bis 15 Jahre. Müll gehört in die Abfallkörbe. Die Ruhezeit von 20–7 ist einzuhalten.“

„Terror der Tugend“ assistierte Harald Martenstein in der „Zeit“, er erweiterte das Bild dahin, dass „der Glaube an das aufgezwungene Gute“ nicht nur „mit Gesetzen eine moderne Diktatur erschafft“, sondern auch mit „medialer Überwachung“, die Prominente stets im Blick hält und bei der viele mitspielen: Wer ein Handy mit Kamera hat, schickt den Schnappschuss des Fehltretenden oder schlampig Gekleideten ans Boulevard.

Nur in Wien ist alles noch lässig: Wer neben einem Raucher an der roten Fußgängerampel wartet, schaut gar nicht hin, wie der Tschick im Kanal verschwindet (auf die Straße werfen würde Euro 36 kosten, so viel wie ein Hundstrümmerl). Dann gehen beide los, obwohl immer noch Rot ist, aber man sieht ja, dass nichts kommt. Oder sie gehen nicht los – dann, wenn ein Kind dabeisteht. Dem darf man kein schlechtes Beispiel geben, auch in sein Hirn muss hinein, dass man den eigenen Augen und Ohren nicht trauen darf, wenn die Ampel es gebietet.

E-Mails: juergen.langenbach@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.08.2012)

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