„Me too“ in Wien um 1900: Die Modelle von Klimt und Schiele

Ein privater Schiele-Forscher hat jetzt die Identität eines Modells von Egon Schiele klären können, das mit 18 Jahren von ihm schwanger war.

Er nimmt, wo er findet“, beschrieb eine eifersüchtige Alma Mahler den berüchtigten Trieb ihres Verehrers Gustav Klimt, der im Werben um das It-Girl des Wien um 1900 wenig ausdauernd war. Einen Kuss holte er sich, das soll es gewesen sein. In beiderseitigem Einverständnis. Einen sexuellen Übergriff hat man damals in seiner eigenen gesellschaftlichen Schicht nicht leichter Hand gewagt. Das lebten die Starkünstler bei jenen aus, die von ihnen abhängig waren, bei den jungen Modellen, die meist zu den Ärmsten der Armen gehörten. Was glauben Sie, was passierte, wenn sich eine der Wäscherinnen oder Kellnerinnen bei so einer Sitzung wehrte? „Me too“ in Wien um 1900? Das hat nur funktioniert, wenn es um Minderjährige ging, wie Prozesse um Schiele oder Adolf Loos bescheinigen.

Sonst wurde man eben schwanger. Davon zeugen Klimts sechs Kinder mit drei seiner vielen Modelle, die sich dutzendweise zu jeder Tages- und Nachtzeit in seinem Atelier aufgehalten haben sollen. Halb nackt natürlich. Immerhin zahlte Klimt Alimente. Und die Modelle nannten die vom Meister empfangenen Buben auch brav alle Gustav. In der Öffentlichkeit trat Klimt, ewiger Junggeselle, mit einer anderen Frau auf, mit der von ihm unabhängigen Modeschöpferin Emilie Flöge. Ob da je etwas gelaufen ist oder sie gar lesbisch war, wie manche vermuten, weiß man nicht. Die Modelle jedenfalls heiratete man nicht, dem folgte auch Egon Schiele, der zwar lang mit seiner Wally zusammenlebte, sie dann aber eiskalt wegen einer bürgerlichen Partie abservierte. Wally ging als Krankenschwester in den Krieg und starb nahe Split. Schieles Gattin, Edith, starb 1917 als Schwangere, kurz vor Schiele selbst. Schiele blieb kinderlos, glaubte man bisher.

Ein privater Neulengbacher Schiele-Forscher ist sich da nicht mehr so sicher, er konnte jetzt die Identität eines der vielen namenlosen Schiele-Modelle klären. In einem Brief schrieb der Arzt Erwin von Graff im Mai 1910: „Lieber Schiele! Herzlichen Dank für Ihren Brief. Gestern kam L. A. an die Klinik und wurde aufgenommen. Sie bewohnt ein Zimmer mit einer 2ten Frau zusammen und scheint sehr unglücklich über Ihre Untreue zu sein. Es ist wohl für Sie und sie besser so.“ Geht es hier um eine Abtreibung? Eine Geburt? Günter Wagensommerer deutet eher Zweiteres an.

Durch Vergleiche mit Melderegistern konnte er die Identität dieser „L. A.“ feststellen: Lili Amon hieß sie, war 18 Jahre alt, in Linz geboren, ledig und „Modell“. Ein Schicksal. Schiele scheint sich nicht weiter darum gekümmert zu haben. In seiner Kunst lebt es, lebt Lili Amon weiter – blass, blond, ausgemergelt. Auch schwanger. Schiele hielt sie in diesem Zustand fest. Und zeichnete in diesem Jahr auch auffällig viele Kinder und Babys.

E-Mails an: almuth.spiegler@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2017)

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