Eine „Unrechtsgrenze“, die kaum noch jemanden aufregt

Die Akten des Staatsvertrages werden im Auto Karl Renners verstaut. Saint-Germain-en-Laye, September 1919.
Die Akten des Staatsvertrages werden im Auto Karl Renners verstaut. Saint-Germain-en-Laye, September 1919.(c) Austrian Archives / Imagno / pic (Austrian Archives)
  • Drucken

Tirol gedenkt etwas verschämt des Friedensvertrags von Saint Germain vor 100 Jahren, bei dem Südtirol und Welschtirol an Italien gingen.

Es war eine recht martialische Veranstaltung: Am 4. November 2018 lud der (politisch weit rechts stehende) Südtiroler Heimatbund nach Bozen. Dort schlug man am Jahrestag des Waffenstillstands zwischen Österreich-Ungarn und Italien in einem Park den 100. Stachel in eine Dornenkrone ein – „für jedes Jahr der italienischen Fremdherrschaft einen“, wie der Heimatbund erklärt.

Die Dornenkrone steht seit Jahrzehnten für das Leid, das den Südtirolern durch die Landesteilung Tirols zuteil wurde. Heute wird in Innsbruck keine Dorne in eine Krone eingeschlagen werden. Dabei ist es auf den Tag genau 100 Jahre her, dass der Vertrag im Schloss Saint Germain en Laye unterzeichnet wurde, der nach dem Ende des Ersten Weltkriegs Südtirol, Welschtirol, das Kanaltal und Istrien Italien zusprach. Seither ist das Land Tirol am Alpenpass durch eine „Unrechtsgrenze“, wie sie heute auch Tirols Landeshauptmann Günther Platter bezeichnet, zerrissen.

In Innsbruck begeht man den Jahrestag ein wenig verschämt. Der Landtag lud zu einer offiziellen „Gedenksitzung“ ein, die heute um neun Uhr mit einer Messe in der Kapelle im Alten Landhaus beginnt. Bei der anschließenden Sondersitzung wird unter anderem Südtirols Landeshauptmann, Arno Kompatscher, ein kurzes „Statement“ abgeben, wie es in der Einladung heißt. Die „Gedenkansprache von Herrn Günther Platter“ beendet die Festlichkeit schon wieder. Das war's. Einen Aufmarsch der Schützen – mit oder ohne Dornenkrone – wird es ebensowenig geben wie eine Veranstaltung für die Öffentlichkeit. Auch keine Ausstellung widmet sich den 100 Jahren der Geschichte der Trennung. Dabei gäbe es viel aufzuarbeiten, etwa die Zeit der sogenannten „Bumserer“, die in den 1950er- und 1960er-Jahren durch Anschläge versuchten, das Selbstbestimmungsrecht für Südtirol durchzusetzen.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.