Die ersten Blüten der Konzertsaison duften intensiv

Klaviermusik und Kammermusik lassen uns tief ins Innerste der Musik vordringen: Wie Schubert im Angesicht Beethovens Schubert wurde.

Die ersten großen Orchestergastspiele sind absolviert. Noch gibt es aber viele Pausen im Musikleben der beginnenden Wiener Saison. Die Opernhäuser spielen zwar unverdrossen Abend für Abend, doch solange noch die Perücken-Orchester in hehren Konzertsälen suggerieren, Fragmente aus Mozart-Werken seien etwas für Touristen, hat die Spielzeit ihren Vollbetrieb noch nicht aufgenommen.

Dieser Tage kommt man allerdings in sanfte Bewegung, denn die Kammer- und Klaviermusik führt uns in die Regionen bewusster Apperzeption zurück. Gleich heute, Montag, gibt es ja im Brahmssaal die Gelegenheit, eine frühe Beethoven-Sonate und das letzte große Klavierwerk des Meisters miteinander zu vergleichen. Die „Pathétique“, noch im ausgehenden 18. Jahrhundert komponiert, wurde zum Inbegriff des Klassischen: Ausdruck und Form in perfekter Harmonie. Die „Diabelli“-Variationen hingegen sind bis heute eine Ansammlung von Rätselspielen geblieben, äußerlich von kleiner, innerlich aber von immenser Dimension: Romane sind darüber geschrieben worden und ein Theaterstück, das unlängst im Volkstheater gegeben wurde. Es ist ein charmantes Aperçu, dass die dort amtierende Pianistin, Akiko Yamada, nun im Musikverein aus ihrer Rolle heraustritt und das ganze Werk vorstellt; pur.

Das Auryn-Quartett kontert im selben Saal tags darauf, also morgen, mit dem cis-Moll-Quartett, op.131. Da dreht Beethoven die Schraube noch ein paar Umdrehungen weiter und sprengt die klassische Form: sieben unterschiedlich lange Sätze statt der gewohnten vier – eine haarige Fuge gleich zu Beginn und ein hieroglyphischer Variationensatz inmitten, immer wieder von heftigen Interventionen gestört und doch irgendwie erdentrückt; staunenerregend bis in unsere Tage.

Was sich der arme Geiger Ignaz Schuppanzigh geplagt haben mag, mit seinen Kumpanen solche Unspielbarkeiten spielbar zu machen. Zwei Jahre vor der Vollendung des cis-Moll-Quartetts hat er das einzige veröffentlichte Streichquartett Franz Schuberts aus der Taufe gehoben: „Rosamunde“ genannt, weil der Komponist für seinen Variationensatz ein Thema verwendet, das auch in der beliebten Schauspielmusik – und übrigens in der ersten Serie der ebenso beliebten „Impromptus“ – erscheint.

Den „Weg zur großen Symphonie“ wollte sich Schubert über das Streichquartett bahnen, und wir ahnen bis heute nicht, was das anno 1824 geheißen hat. Beethoven hatte schon mehr als ein Jahrzehnt lang kein Quartett mehr veröffentlicht. Schubert bewegt sich also auch in dieser Gattung sozusagen im luftleeren Raum, erfindet sie für sich selbst.

Das EOS-Quartett hat für seinen ersten Konzerthaus-Abend (Samstag) den „Erstgeborenen“ ausgesucht – so hat ein Rezensent das Stück genannt. Er konnte nicht ahnen, dass Schubert schon ein Dutzend Streichquartette geschrieben hatte; wie Schubert nicht ahnen konnte, an welche Arbeit das große Vorbild Beethoven sich gerade gemacht hatte. – Die Saison beginnt. Konfrontation mit großer Geschichte.

E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2011)

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