Hollande versus Sarkozy: In Amsterdam scheint bei 52 Grad die Sonne

In Frankreich sickerten die ersten Hochrechnungen schon am frühen Nachmittag durch – verschlüsselt und via Twitter unter dem Schlagwort „Radio Londres“.

Radio Londres hat wieder gesendet. Nach einer Pause von über 60 Jahren! Bis 1944 rief dieser Sender zum Widerstand gegen die deutsche Besatzung auf und versorgte die Résistance mit Nachrichten – verschlüsselt, natürlich: Die Landung der Alliierten in der Normandie wurde etwa durch ein Gedicht Paul Verlaines angekündigt.

Und jetzt? Rund um die Präsidentschaftswahlen 2012 hat Radio Londres andere Kanäle gefunden, es ist auf Twitter umgestiegen. Und übermittelt werden keine geheimen Informationen für den Widerstand – sondern Hochrechnungen! In Frankreich dürfen ja – wie in Österreich auch – die Zahlen erst nach dem Schließen der letzten Wahllokale an die Öffentlichkeit gelangen, man will so vermeiden, dass „taktisch“ gewählt wird und dass Anhänger der Kandidaten, die knapp zu unterliegen drohen, doch noch rasch zur Wahlurne laufen, um das Ergebnis zu drehen.

Doch wer steht hinter „Radio Londres“? Das ist schwer zu fassen, ja es ist nicht einmal sicher, ob es so etwas wie „Radio Londres“ überhaupt gibt: Kann sein, es ist nur ein Hashtag, also ein Schlagwort. Wer Informationen hatte, stellte sie jedenfalls unter diesem Schlagwort ins Netz, und so ging es weiter im Schneeballsystem. Twitter kann Informationen unglaublich schnell verbreiten, wenn es den Zwitschernden wichtig ist, und das hier war ihnen wichtig: Es ging schließlich um die Freiheit der Information! Die gilt es mit Zähnen und Klauen, mit Twitter und Hashtag zu verteidigen!

Ja, die Netzgemeinde hat einen Hang zum Pathos – aber sie hat auch Witz: Sie „verschlüsselte“ ihre Meldungen auf höchst eigene Weise. Schon beim ersten Wahlgang schrieb „Radio Londres“ von Holland bzw. Amsterdam, wenn François Hollande gemeint war. Budapest stand für Sarkozy (er hat ungarische Vorfahren). Statt „28Prozent für Hollande“ hieß es auf Twitter: „Gouda für 28 Euro das Kilo!“ Eher teuer, würde man sagen, dafür waren Zugtickets auf Twitter plötzlich sagenhaft günstig – für die Fahrt nach Amsterdam zahlte man angeblich nur 28 Euro, für die Reise nach Budapest noch weniger. Und um 0,25 Euro kam man bis zum Jupiter! Dieser Planet stand für Außenseiter Cheminade, der ein Raumfahrtprogramm initiieren wollte.

Noch grotesker jetzt die Stichwahl: Da stieg die Temperatur in den Niederlanden auf 52,8 Grad bei Sonnenschein, in Budapest war es bei Regen und Nebel nur wenige Grad kühler. Und Merkel ließ mit einer Rede aufhorchen, in der sie meinte: „Ich bin zu 52Prozent ein Holländer!“

Nun denn, die Schlacht um den französischen Präsidentenpalast ist geschlagen, die Schlacht um die Information geht weiter. Demnächst wohl auch in anderen Ländern.

E-Mails an: bettina.steiner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2012)

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