Bürgerlich? Das Historikerherz schlägt immer noch links

Von Karl Lueger und Karl Renner, von Deserteuren und Klerikofaschisten und von den Versuchen einer Re-Ideologisierung

Salzburg sei eher wieder bürgerlicher geworden, sagte Hans Mayr, Obmann des „Team Stronach“ in diesem Bundesland. Einer der „Polit-Clowns“, wie ich mich angesichts seines skurrilen Chefs nach wie vor nicht zu sagen scheue. Aber immerhin: Der Stronach-Epigone hat recht. Salzburg ist, wie es scheint, tatsächlich wieder bürgerlicher geworden. Nur: Was heißt das?

Es heißt nicht zuletzt, dass es den Konservativen (nennen wir sie ruhig so!) offenbar gelingt, der Re-Ideologisierung entgegenzuwirken. Sogar das „Profil“, nicht gerade ein Zentralorgan der Rechten, konnte nicht umhin, auf eine „Zerbröselung“ der heimischen Sozialdemokratie hinzuweisen. Von einem „Fehlstart im Wahljahr“ schreibt das Magazin – und davon, dass der SPÖ die Persönlichkeiten fehlen. Zudem schrumpfe ihr klassisches Milieu. Was Wunder, wenn der gescheiterte Verteidigungsminister, der nun wieder als Parteigeschäftsführer engagierte Norbert Darabos, von der Wichtigkeit der sozialistischen Kernthemen spricht, die die Kernwählerschicht „verfestigen“ soll – was immer das heißen mag.

Allein, ist die hochgezüchtete Angst vor neuen Spuren des Neonazismus eines jener Kernthemen? Bemerkenswertes hat jüngst Barbara Coudenhove-Kalergi – ihre Erinnerungen halten sich zu Recht seit Monaten auf allen Bestsellerlisten – im „Standard“ geschrieben: „So, wie wir uns seinerzeit gar nicht einkriegen konnten vor Nazi-Begeisterung, können wir uns offenbar jetzt nicht einkriegen vor lauter Anti-Nazismus.“ Und sie fragt: „Ist das alles gut und längst fällig oder doch ein bisschen überzogen?“ Denn, so folgert die frühere Star-Osteuropa-Korrespondentin des ORF, Antisemitismus sei „bei der überwältigenden Mehrheit der Österreicher kein Thema mehr“.


Wer's glaubt, wird nicht selig, sondern ist vernünftig. Aber immerhin gibt es noch jene Historiker, die links sind, wo ihr Herz schlägt. Gibt es keine anderen? Ist Zeitgeschichte immer nur gleichbedeutend mit Oliver Rathkolb oder Emmerich Tálos, muss ausgerechnet Wolfgang Maderthaner jetzt als neuer Generaldirektor das Österreichische Staatsarchiv leiten, der die Dollfuß-Schuschnigg-Ära als „kleinlich, erbärmlich, erfolglos, unbeliebt, autoritär und repressiv“ bezeichnete? So zu lesen in der „Wiener Zeitung“, dem Organ der Republik.

Als ausgerechnet im Burgtheater als Festwochen-Gastspiel eine umstrittene Castellucci-Performance über die Pflege eines inkontinenten alten Herrn durch seinen liebenswerten Sohn gezeigt wurde, versuchte jemand, aufgebrachte Buhrufer als „Klerikofaschisten“ zu überschreien. Links, wo das Herz schlägt? Oder – als offenbar natürlicher Gegenpol – rechts, was gleichbedeutend ist mit reaktionär? Hans Mayr freut sich über das Wachsen des Bürgerlichen. Andere ärgern sich – Faymann, Darabos und Genossen.

Aber immerhin: Noch sind hierzulande die Re-Ideologisierer am Zug. Da wird etwa kritisiert, dass das Verteidigungsministerium (ausgerechnet!) beim Denkmal für die Deserteure nicht mitzahlen will. Da wird erklärt, warum für Karl Lueger gelten muss, was es für Karl Renner nicht tut: der Antisemitismus. Da gibt es keine Wiederholung der seinerzeit beliebten Serie „Derrick“, weil Horst Tappert offenbar bei der SS war. „Was die Beschäftigung mit der Nazi-Zeit angeht, so könnten wir uns indessen ein bisschen Gelassenheit leisten“, schrieb Barbara Coudenhove im „Standard“. Jawohl.


Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“.


E-Mails an: thomas.chorherr@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.05.2013)

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