Herzensweltmeister Belgien

Die Belgier haben zwar das WM-Finale verpasst. In Zeiten eines vielerorts erstarkenden Chauvinismus jedoch täte ihre selbstironische Entspanntheit vielen anderen Völkern Europas gut.

Ecke Griezmann, Kopfball Umtiti, aus die Maus: wie schon in Mexiko 1986 war auch in Russland für Belgiens Fußballteam im Halbfinale Endstation. Ob diese "goldene Generation" hochbegabter und bärkenstarker Fußballer jemals einen Titel zu erringen vermag, wird sich erst in zwei Jahren bei der Europameisterschaft erweisen (bei der nächsten WM in vier Jahren werden einige Stützen, von Kompany über Vertonghen, Witsel, Fellaini und Chadli bis Mertens, ihren Zenit überschritten haben).

Fußballerische Großereignisse wie dieses reizen zu küchensoziologischen Querschlüssen. Oft lehnen sich diejenigen Beobachter, die am wenigsten vom Sport verstehen, mit ihren Schlussfolgerungen am weitesten aus dem Fenster. Man denke beispielsweise an die realitätsvergessene Inbrunst, mit der im Sommer vor genau 20 Jahren feuilletonistische Schöngeister aus dem WM-Gewinn der multiethnischen französischen Équipe ein multikulturelles Friedenselixier zu destillieren versuchten.

Insofern tut man gut, nicht allzu viel Politisches oder Soziologisches in den Sport hineinzudeuten. Dass zum Beispiel die belgischen Teamspieler, Flamen und Wallonen, untereinander in erster Linie Englisch sprechen, ist mitnichten ein bewusster, kollektiver Akt der Überwindung des Sprachenstreits, sondern dem simplen Umstand geschuldet, dass ihr Teamchef Roberto Martínez weder Niederländisch noch Französisch beherrscht.

Eines jedoch muss man, wenn man in diesem Land lebt und die Haltung seiner Bürger gegenüber ihrer Nationalmannschaft beobachtet, sehr wohl mit Anerkennung festhalten: es täte Europa gut, wenn alle seine Völker so entspannt und selbstironisch mit dem (gottlob nur symbolischen, spielhaften) Wettkampf der Nationen umgingen, wie es die Belgier tun. Gewiss haben sie sich einen Sieg gegen den großen Nachbarn Frankreich gewünscht. Gewiss brannten dem einen oder anderen die Sicherungen durch, als die Roten Teufel ausschieden. Aber unterm Strich war die Haltung der Belgier zu ihrer Nationalmannschaft beneidenswert reif: super, wenn wir gewinnen, macht nichts, wenn wir verlieren.

Fußball ist, so sehr er uns bisweilen auch aufregen mag, letztlich nur ein Spiel. Wenn wir ihn als solches respektieren, ohne ihn als chauvinistischen Stellvertreterkrieg zu missbrauchen, kann er uns auf wundersame Weise über alle Grenzen hinweg einander näher bringen. Das ist in einer Zeit, in der immer mehr Zeitgenossen auch außerhalb des Fußballstadions glauben, Menschen anderer Herkunft als minderwertig abtun zu können, eine tröstliche Hoffnung, für die wir den Belgiern dankbar sein dürfen.

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