Wer wundert sich da noch, dass es zu wenig Lehrlinge gibt?

Lehrlingen wird - mal mehr, mal weniger durch die Blume - signalisiert, dass sie eh nur zu blöd für alles andere waren.

Wien, Mariahilferstraße. Ein heißer Tag im August, eines der vielen Modegeschäfte, einer der vielen wirklich allerletzten Schlussverkäufe. Eine Frau mit einer Bluse in der Hand schaut sich suchend um und steuert auf einen jungen Mann zu, der vor einem Haufen Jeans herumsteht. Sie stellt ihm eine Frage. Er blickt sie entgeistert an: "Schaue ich etwa wie ein Verkäufer aus?", fragt er und wird gleich noch ein paar Zentimeter größer und ein paar Dezibel lauter: "Bitte, ich habe studiert!" Die Frau zieht peinlich berührt ab. Stattdessen kommt die Freundin des jungen Mannes kichernd aus der Umkleidekabine, wirft einer ebenso jungen Verkäuferin ein paar Kleidungsstücke und Haken hin und reißt noch ein paar Witze.

Ist ja auch irgendwie praktisch, wenn man die Menschen so etikettieren kann, wie Schlussverkaufsware: 10 Prozent weniger Wertschätzung gibt's, wenn man nur Matura hat, 30 Prozent Nachlass für die Lehre. Warum auch nicht mit unserem Feingefühl sparen? Wer weiß schon, ob noch genug davon übrig ist, wenn es mal wirklich nützlich ist.

Nur wundern sollte sich dann niemand darüber, dass in Österreich jeden Tag Betriebe händeringend nach geeigneten Bewerbern für eine Lehrstelle suchen. Wird doch Lehrlingen - mal mehr, mal weniger durch die Blume - signalisiert, dass sie eh nur zu blöd für alles andere waren. In Wahrheit können wir uns glücklich schätzen, dass es überhaupt noch ambitionierte und motivierte Jugendliche gibt, die diesen Weg einschlagen. Egal, aus welchem Land sie kommen.

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