Deutschland sucht die Superintellektuellen: Und wo bleiben die Jungen?

Screenshot: Cicero
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Das Politmagazin "Cicero" kürte die "500 wichtigsten Intellektuellen unserer Zeit". Unter den Top 20 sind vorwiegend weiße, alte Männer. Nur zwei Kandidaten sind jünger als 70; nur 16 Prozent aller Gelisteten sind Frauen.

Weiß, männlich und alt: So ist die neue Liste der "500 wichtigsten Intellektuellen unserer Zeit" des deutschen Politmagazins "Cicero" ausgefallen. Unter den 20 Bestgereihten befinden sich nur zwei Kandidaten, die unter 70 sind - die Schriftsteller Daniel Kehlmann (Platz 10) und Juli Zeh (Platz 11), beide 44. Die vorderen Plätze dieses Rankings belegen vor allem Siebzig-, Achtzig- oder sogar Neunzigjährige: Philosoph Peter Sloterdijk steht mit 71 auf Platz eins, gefolgt von seinem Kollegen Jürgen Habermas und dem Dichter Hans Magnus Enzensberger, beide 89. Und irgendwie ist das sogar beruhigend, schließlich lässt sich daraus ableiten, dass mit der abnehmenden Schönheit im Alter nicht automatisch die geistige Klarheit zurückgeht. Dass man die Früchte der Arbeit auch spät, in der Dämmerung des Lebens ernten kann.

Andererseits macht einen diese Methusalem-Liste durchaus stutzig, zumal auch auf den hinteren Rängen nur vereinzelt Kandidaten unter 40 auftauchen (jüngste Frau ist Schriftstellerin Helene Hegemann, 26; jüngster Mann Moderator Jan Böhmermann, 37). Weil irgendwie kann man sich so ein Ranking ja erklären: Es steigt - im Bestfall - die Bekanntheit eines Menschen mit seinem Lebensalter und der damit einhergehenden Steigerung seiner Bücher, Filme oder Studien. Aber die intellektuelle Größe wächst doch nicht automatisch mit, oder? Man fragt sich also: Wo bleiben die jungen Gescheiten, die herausragenden Denker, Forscher, die klugen Erfinder? Wo versteckt sich der Nachwuchs? Und ab welchem Alter nimmt einen die Umgebung mit dem, was man tut und sagt ernst?

Es geht nicht um die "intellektuelle Qualität"

Eine Antwort für das hohe Durchschnittsalter in diesem "Deutschland sucht den Superstar"-Ranking liegt in der Entstehung der Liste, die "den geistigen Einfluss der deutschsprachigen Intelektuellen spiegeln will" (der bestgereihte Österreicher ist übrigens Peter Handke auf Platz 5, auch schon 76, Elfriede Jelinek, 72, belegt Platz 7) und dezidiert nur die "Deutungsmacht" der Gelisteten, nicht aber die "inhaltliche Qualität" misst. Das Ergebnis ergibt sich also, so erklärt es "Cicero", aus der Präsenz der Genannten in den 160 wichtigsten deutschen Zeitungen und Zeitschriften, Zitierungen im Internet, den Treffern in der Literaturrecherche von Google Scholar und Verweisen im biografischen Munzinger Archiv. Fazit: Je mehr Trubel, oder sagen wir: Debatten, es um eine Person und ihr Werk gab, desto mehr Chancen hat sie, weit oben in die Hitliste der Intellektuellen einzusteigen. Und sie ist übrigens auch dieses Jahr sehr männlich ausgefallen: Nur 16 Prozent der 500 Gereihten sind Frauen.

Unsere Welt hört also immer noch mehr auf ältere Herren als auf andere. Sie werden eher befragt, porträtiert und zitiert als Frauen, Migranten oder ihre jüngeren Kollegen. Besonders plastisch zeigt sich das beim Ehepaar Aleida und Jan Assmann: Die Kulturwissenschaftler erhielten 2018 zusammen den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, sie forschen viel gemeinsam - und doch ist Jan Assmann mit deutlichem Vorsprung auf Platz 38 der "Cicero"-Liste gelandet, seine Frau nur auf Platz 121. Ein Ranking wie dieses kann uns aufregen. Es kann uns aber auch erinnern, dass wir alle einen Einfluss darauf haben, welchen Stimmen wir wie viel Gewicht geben. Oder einfach nur daran, den Sinn solcher Listen zu hinterfragen.

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