Das Ortner- Prinzip: Die Paranoia der Besitzenden

Mein Haus, mein Garten, meine Eigentumswohnung oder mein Erspartes ist in Gefahr. Jetzt kommt der Staat und will mir einfach etwas davon wegnehmen: Frechheit!

Die Politiker haben auf diese Vermögenssteuer-Phobie der Österreicher lange zu viel Rücksicht genommen. 2007 schaffte etwa das Kabinett Gusenbauer die alte Erbschafts- und Schenkungssteuer ersatzlos ab. In der Debatte um neue Vermögenssteuern verlieren jetzt nicht nur manche ÖVP-Politiker die Contenance, auch bei vielen Durchschnittsösterreichern schaltet sich das Hirn aus.

Diese kollektiven Ängste sind absurd. Schließlich sind die Geld- und Immobilienvermögen in Österreich ungleich verteilt und im internationalen Vergleich nur gering besteuert. So besitzen die obersten zehn Prozent im Land laut Nationalbank 54Prozent des Geldvermögens und 61 Prozent der Immobilien – da ist wohl klar, wer von vernünftig angelegten Vermögensabgaben wirklich spürbar betroffen sein würde. Zu Recht. Der Staat sollte sich das Geld dort holen, wo es noch vorhanden ist. Vermögensbesteuerung hat heute nichts mit linker Ideologie, sondern mit Pragmatismus zu tun.

Die Steuerzahler sollten sich lieber einmal über andere Abgaben aufpudeln, etwa über die hohen Steuern auf Arbeit. Bei den unselbstständig Erwerbstätigen zahlt das obere Einkommensdrittel brav hohe Lohnsteuern, es bestreitet damit mehr als vier Fünftel des Gesamtaufkommens – das funktioniert wohl auch ohne Widerstand, weil das Bruttogehalt nur ein virtueller Wert ist, den man nie in der Geldtasche hat. Vermögenssteuern rauf, dafür Lohnabgaben runter: Das würde viele unter dem Strich entlasten.

Doch rationale Argumente zählen nicht, wenn es um die Paranoia der Besitzenden geht. Wer tiefer in die österreichische Seele hineinblickt, erkennt, dass es bei Vermögenssteuern nicht nur ums Materielle geht. Psychologisch stehen Geld und Besitz als Symbole für das Verhaftetsein in der Welt. Die Menschen verstehen das Erben als ureigene Familienangelegenheit: Etwas von den Eltern zu bekommen heißt auch, geliebt zu werden. Der Zugriff des Staates in diesen Privatbereich stellt eine äußere Macht dar, die viele kaum ertragen.

Die Österreicher brauchen also einmal eine ordentliche Gruppentherapie. Schade, dass sich bisher weder Werner Faymann noch Josef Pröll als gescheiter Therapeut erwiesen hat.
Julia Ortner ist Redakteurin im Politik-Ressort der Wochenzeitung „Falter“.


ortner@falter.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2010)

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