Pizzicato

Von fremden Welten

Und immer, immer wieder geht die Sonne auf, oder so.
Und immer, immer wieder geht die Sonne auf, oder so.rentittoday.com
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Es ist in einem kleinen Ort im Wiener Becken, einem Teil der Stadtgemeinde Ebreichsdorf.

Dort ist ein Bahnübergang, in dessen Nähe Autofahrer seit Jahren eine eindrückliche Beobachtung machen können: Auf dem Gehsteig steht manchmal ein batteriebetriebener Rollstuhl. Und in den paar Sekunden, in denen man vorbeizischt, erkennt man darin einen jungen, doch viel zu klein geratenen Mann. Auf Kopfhöhe scheint so ein Ding zu sein, mit dem man Rollstühle mit Kopf- oder Zungenbewegungen steuern kann. Ich habe den Mann darin nie länger gesehen als jeweils für einige Sekunden (die Schranken waren immer offen), aber es könnte ein Fall von Glasknochenkrankheit sein. Ein hoher Querschnitt. Oder so.

Jedenfalls sitzt der junge Mann an schönen Tagen oft da und schaut den Autos zu, während ringsum Bäume blühen, die Felder im Korn stehen und die Sonne scheint. Auch er sieht die Autos jeweils nur für einige Sekunden. In ihnen rollen fremde Welten, und für diese ist der junge Mann im Rollstuhl auch eine fremde Welt. Jedesmal spüre ich beim Vorbeifahren einen Hauch Bitterkeit. Aber auch in den fremden Welten, die an ihm vorüberziehen, ist oft eine Sonne untergegangen, ist der Sommer vorbei und das Leben bitter.

Man sollte einmal halten und den jungen Mann fragen, wie er heißt. Nur: Heuer, da hab ich ihn noch immer nicht gesehen. (wg)

Reaktionen an: wolfgang.greber@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2017)

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