Plötzlich allein

Immer weiter den Zeitstrahl entlang
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Wenn KInder laufen lernen, ist das schon ein Akt des Loslassens. Dann kommt der erste Schultag. Und danach ein neues Loslassen.

Über den Sommer 2012 hatte Bübchen laufen gelernt. Es begann recht plötzlich, Ende Mai kurz vor seinem ersten Geburtstag, da hatte er sich an einem Regal hochgezogen, stand im Pyjama mit dem orange-schwarz-gelben Tigermuster unsicher wackelnd da wie auf schwerer See, und lachte. Plötzlich hat er das Holz losgelassen und tappte auf mich zu. Vier Schritte. Tap-tap-tap-tap klatschten die nackten Füßchen über den Boden, fast hätt' er meine Knie zu greifen gekriegt, da hat's ihn hingeprackt.

Wie er dabei gegrinst hat, war phänomenal. Die vier Schritte dauerten eine gefühlte kleine Ewigkeit. Irgendwie hat kurz mein Herz ausgesetzt, und es war spürbar, dass etwas Großes passiert war.

Mittlerweile geht er mit auf 2000 Meter hohe Berge, kann Eislaufen, Skifahren, Radfahren, jetzt malt der Herbst die Welt an, und da begann für Bübchen die Schule. In den Jahren, als er in den Kindi ging, hat er sich unterwegs an einer Erwachsenenhand festgehalten. Das war jetzt anfangs auch so. Doch sehr schnell war da ein Schulfreund, der in der Früh allein kommt, läutet und ihn abholt. Bald fing das Matschgern an: „I mag allein gehn, oder nur mit ihm!"

Eine Zeitlang sind wir mit den Beiden mitgegangen. Dann hab ich angefangen, sie die 400 Meter zur Schule zu beschatten, ganz auffällig, sie sahen mich. Am Freitag drehte ich erstmals nach 100 Metern um. Die können das. Und der Weg ist recht gefahrlos.

Irgendwann geht dann meist nur noch die Tür zu, und man hört Schritte im Stiegenhaus. Dann hat er wieder losgelassen. (wg)

Reaktionen an:wolfgang.greber@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2017)

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