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Finde den Feler

Heute sind es die Herrschenden, welche ihre verschriftlichten Bekundungen mit orthografischen, syntaktischen und logischen Fehlern spicken.

Der belgische Sinologe Simon Leys, der bis zu seinem Tod 2014 zunächst in China und dann in Australien lebte und ein geistreicher Kenner des Orients war, erinnerte in einer Marginalie (nachzulesen im Bändchen „Le bonheur des petits poissons“, Editions Jean-Claude Lattès, 2008) an eine Gepflogenheit am chinesischen Kaiserhof im 18. Jahrhundert. Wenn ein hoher Mandarin seinem Herrscher einen Bericht vorzulegen hatte, erforderte es die Etikette, dass er bewusst einen Rechtschreibfehler auf der ersten oder zweiten Seite seines Rapports beging. Dies gab dem Kaiser die Gelegenheit, im Aufzeigen und Korrigieren des Fehlers seine Wachsamkeit unter Beweis zu stellen, und es entband ihn davon, den gesamten Bericht lesen zu müssen.

Heute leben wir, zumal in Mitteleuropa, nicht mehr als Untertanen gottesbegnadeter Kaiser, und so haben sich die Vorzeichen geändert. Nun sind es die Herrschenden, welche ihre verschriftlichten Bekundungen mit orthografischen, syntaktischen und logischen Fehlern spicken, vorzugsweise auf den Kanälen von Facebook und Twitter. Der Bürger zieht daraus denselben Nutzen wie ein chinesischer Kaiser vor 250 Jahren: Er kann sich an seiner Aufmerksamkeit erfreuen – und erspart es sich, den gesamten Textschrott zu Ende lesen zu müssen. (go)

Reaktionen an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2017)

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