Pizzicato

Der „Eiserne“

Die Klage, dass ganze Horden von Pressetextern, Referenten, Spindoktoren und Ghostwritern um jeden handelnden Politiker wimmeln, ist nicht ganz unberechtigt.

Ein Blick ins „Presse“-Archiv erweist sich freilich als hilfreich: Früher war es auch nicht anders, wenngleich in erträglichem Ausmaß. Da gab's einen Wiener ÖVP-Abgeordneten – ein feiner Mann, stets in edlem Zwirn, denn er war Stoffhändler, der zahlte ganz gut, wenn ihm ein Jungjournalist des Parteipressediensts eine ordentliche Rede schrieb. Da ging es meistens um europäische Wirtschaftsthemen, die interessierten das Nationalratsplenum sowieso kaum.

Besser hatte es da der einstige ÖVP-Vizekanzler Hermann Withalm, denn er verfügte natürlich auch damals schon (wir sind in den End-1960er-Jahren) über einen Pressemann. Der war umfassend gebildet. Das war auch nötig, weil der „Eiserne Hermann“ plötzlich in die unangenehme Situation geriet, die Melker Festspiele eröffnen zu müssen. Sein Pressemensch türmte literarische Bilder und Zitate aufeinander, dass es eine Freude war. Der Politiker aber fand keine Zeit mehr, den Text vorher zu lesen. Als ihm das Auditorium danach enthusiasmiert Ovationen darbot, merkte Withalm trocken an: „Mir brauchen Sie nicht zu gratulieren, ich habe die Rede auch gerade zum ersten Mal gehört.“ (hws)

Reaktionen an: hans-werner.scheidl@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2018)

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