Der unsäglich bornierte Umgang mit dem „Wohl des Kindes“

Wer sich nichts anderes als die ideale Vater-Mutter-Kind-Familie vorstellen kann, sollte das offen zugeben. Das ersparte wenigstens die Heuchelei um Kinderrechte.

Bereits vor mehr als zehn Jahren hatten wir diese Diskussion schon in einer Redaktionskonferenz der „Presse“. Der konkrete Anlass ist nicht mehr in Erinnerung, aber das Thema war dasselbe wie jetzt nach dem Vorstoß des ÖVP-Ministers Andrä Rupprechter: Homosexuelle Paare und Kinder!

Damals wie heute wird mit dem „Wohl des Kindes“ argumentiert, das nur in der klassischen Vater-Mutter-Kind-Familie gewährleistet sei. Damals wie heute wurde nicht auf die Frage eingegangen, warum ein gewalttätiger/problematischer Elternteil in der klassischen Kleinfamilie das Wohl des Kindes eher sicherstellt als eine liebevolle Umgebung mit zwei gleichgeschlechtlichen Eltern. Also auch eine Art Stillstand!

Nach den Veränderungen der Gesellschaft in diesem Jahrzehnt ist die Scheinheiligkeit der Argumentation heute eindeutiger als damals, das Manipulative am „Wohl des Kindes“ klarer erkennbar. Gewiss, es gibt gute Argumente für die eine und die andere Seite, aber wenn man sich am traditionellen Familienbild festkrallen will, dann soll man es offen sagen – und nicht das Wohl des Kindes vorschieben.

Wenn man, wie die ÖVP, nicht über einen Vorschlag aus den eigenen Reihen (Adoptionsrecht für homosexuelle Paare) diskutieren will, dann soll man ihn nicht mit den Worten abtun: Es gibt wichtigere Themen. Was wäre denn ein wichtigeres Thema als das „Wohl des Kindes“? Wie christlich ist denn das! Ehrlicher wäre: Wir wollen einfach nicht darüber reden.

Die Präsidentin der Katholischen Aktion Österreichs, Gerda Schaffelhofer, sollte beichten gehen (zu Kardinal Schönborn oder wem immer). Auch sie hat sich der Heuchelei schuldig gemacht, als sie sich in der „ZiB2“ hinter dem Kindeswohl versteckt hat. Sie hätte einfach sagen können: Wir wollen keine Änderungen, basta! Wenigstens hat sie angedeutet, wovor sie sich wirklich fürchtet: „Wo fängt es an, wo hört es auf?“ Vor einer differenzierten Betrachtungsweise der realen Veränderungen in der Gesellschaft also.

Christliche Werte als Argument für das Kindeswohl anzuführen, bedingt schon eine gerüttelt Maß an Dreistigkeit. Fein! Eben ist der Chef der Katholischen Arbeiterbewegung, Georg Hupfauer, wegen des Verdachts des Besitzes von Kinderpornografie zurückgetreten. Hupfauer ist auch Vater. Wie gesund ist denn so eine Familienumgebung? Das Recht auf den Vater? Welchen Vater?

Wer nicht bereit ist, etwas anderes als die „ideale Familie“ auch nur zu denken, sollte es offen zugeben. Familienidyll ist wünschenswert und unterstützungswürdig, aber nicht für alle lebbar. Wenn man gedanklich nicht flexibel genug ist, individuellen Gegebenheiten in einer total veränderten Gesellschaft Raum zu geben, sollte man zumindest anderen nicht seine starren Vorstellungen aufzwingen.

Es gehört zum Beispiel schon ein gutes Maß an Borniertheit dazu, die vermehrten Fälle von Kindesmissbrauch und Kindesmisshandlung in den vergangenen Jahren zu ignorieren. Von der Dunkelziffer der Gewalt in den „besten“ Familien ganz zu schweigen. Gesellschaftspolitik auf dem Rücken von Kindern auszutragen ist eine Art von Missbrauch.

Auch der Kinderraub in Australien, Kanada oder sonstwo bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts wurde als Wohltat für die Kinder der Aborigines oder der First Nation ausgegeben. Wer je mit Betroffenen geredet hat, weiß um die oft lebenszerstörenden Konsequenzen. Es ist Lieblosigkeit par excellence, kategorisch festzulegen, was dem Wohl des Kindes dient.

Zur Lockerung der Engstirnigkeit sei den Verweigerern der jetzigen Diskussion der gerade laufende Film „Philomena“ empfohlen. Es ist eine wahre Geschichte, wie Kinder zu ihrem eigenen „Wohl“ in Irland von einem Nonnenkloster an „ideale“ Vater-Mutter-Kind-Familien verkauft – und danach belogen und betrogen wurden. Nach all dem, was über den Umgang der katholischen Kirche mit Kindern in den vergangenen Jahren öffentlich wurde, sollte man sich andere Argumente einfallen lassen. Oder umdenken!

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.03.2014)

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