Die Unverstandenen: Küchenpsychologie im Kabinett

Sind Kritiker wirklich einfach zu dumm, um die Segnungen der Steuerpläne der Regierung zu begreifen, wie dies Kanzler und Vize am Dienstag andeuteten?

Ein geradezu rührender Moment diese Woche im Bundeskanzleramt: „Ich bitte Sie darum, dass Sie auch darstellen, was den Leuten übrig bleibt. . . Ich ersuche Sie um Ihre Verantwortung, das Wesentliche nicht zu vergessen.“ Und das sei eben die Kaufkraftstärkung. Man müsse den Menschen vermitteln, dass es aufwärts gehe. Es sei psychologisch wichtig, dass die Menschen optimistisch sind. Nur wenn die Medien ihre „Verantwortung“, das Positive darzustellen, wahrnehmen, würde der Effekt der Steuerreform „vervielfacht“. Ist doch ganz einfach, oder?

Mit diesen und anderen Worten versuchte Werner Faymann im Pressefoyer nach dem Ministerrat Journalisten zu Verbündeten für den Spin, also Dreh, der Koalition in Sachen Steuerreform zu machen. Allein, das funktioniert so nicht. Denn mit dieser Steuerreform kam es wie es kommen musste – und von vielen oft genug vorhergesagt wurde: Weil die Regierung das ganze Projekt nicht mit einem lauten Signal für Einsparungen aufgestellt hat, blieb letztlich vor allem beim Mittelstand und bei Leistungsträgern das Gefühl neuer oder stärkerer Belastungen zurück. Und diese Gruppe „vervielfacht“ die pessimistische Reaktion, während die „Gewinner“ der Steuergesetze unsicher sind, ob wirklich mehr netto vom Brutto am Ende übrig sein wird. Und skeptisch bleiben.

Derartige küchenpsychologische Überlegungen wie am Dienstag hätte Faymann am Beginn des Projektes anstellen sollen, nicht an dessen Ende. Dafür hätte es schon genügt, das Interview von „Spiegel Online“ mit dem Hamburger Wirtschaftspsychologen Erich H. Witte aus dem Jahr 2007 (also noch vor Ausbruch der Finanzkrise und Amtsantritt Faymanns) zu lesen: „Dass Wirtschaft zu 50 Prozent Psychologie ist soll ja schon der Wirtschaftswunder-Kanzler Ludwig Erhard gesagt haben. Alles, was in der Wirtschaft passiert, ob Investitionen oder Konsum, wird immer von psychischen Faktoren beeinflusst.“

Die Psyche der Konsumenten und der Unternehmer, alias Investoren, ist aber nach Bekanntgabe der Steuersenkungs- und gleichzeitig -erhöhungspläne in keinem wirklich guten Zustand. Die einen glauben wegen der schwammigen Angaben zur „Gegenfinanzierung“ nicht wirklich an die Kaufkraftstärkung, die anderen sind enttäuscht bis verärgert.

Da konnten Werner Faymann und sein Vize Reinhold Mitterlehner am Dienstag noch so sehr um ihre positive Sicht der Dinge und den „Riesenerfolg der Regierung“ werben. Ob ein Glas nämlich halb voll oder halb leer ist, „liegt weder am Glas noch an der Füllmenge, sondern einzig am Betrachter“. „Auch das wusste der Hamburger Witte bereits vor sieben Jahren. Fakten und subjektives Empfinden seien in der Wirtschaft „leider“ zwei voneinander unabhängige Größen. So schwer ist das auch wieder nicht zu verstehen.

Selbstverständlich muss das Kabinett Faymann II sein Steuerprojekt in das bestmögliche Licht stellen. Mit welchem Spin immer. Das sei ihm unbenommen, und die Kritik daran ist nicht ganz fair.

Nur, so tun wie Kanzler und Vize, als seien alle Kritiker und Skeptiker zu dumm, die Segnungen dieser Reform zu begreifen, grenzt schon an eine Tragikomödie mit dem Titel „Die Unverstandenen vom Ballhausplatz“.

Vor allem Wirtschaftsminister Mitterlehner scheint sich ungerecht behandelt zu fühlen („Die Welt bricht ja nicht zusammen“). Das ist angesichts dessen, was sich in „seinem“ Wirtschaftsbund und „seiner“ Wirtschaftskammer über seinem Haupt zusammenbraut, verständlich. Nur zum Unverstandenen noch den „Beleidigten“ zu mimen, war unnotwendig.

Wie die beiden aus dieser Nummer wieder herauskommen? Indem sie bei der Regierungsklausur Anfang nächster Woche mit positiven Entscheidungen für die Zukunft herausrücken, die sie uns bis jetzt nach einer Art perverser Strategie wahrscheinlich nur verschwiegen haben. Und so selbst für jenen Optimismus sorgen, den die Medien verbreiten sollen.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2015)

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