Quergeschrieben

Das Drama des überschätzten Politikers und seiner Freunde

Wie sich ein Scheitern vermeiden ließe: Widerspruch tolerieren, Perspektivenwechsel provozieren, Unterwürfigkeit verbieten und Selbsterkenntnis stärken!

Die Geschichte ist voll davon. Voll von Dramen des Scheiterns historischer Figuren, die letztlich die Erwartungen, die in sie gesetzt wurden, nicht erfüllt haben. Das größte Schauspiel der letzten Zeit aber ging 2016 über die Weltbühne. Sein letzter Akt fand am 20. Jänner dieses Jahres in Washington statt: Hillary Clinton wurde nicht als erste US-Präsidentin angelobt.

Wie es dazu kam, ist nun in dem Buch „Shattered“ („Zerschmettert“) über den „zum Scheitern verurteilten“ Wahlkampf der Kandidatin der Demokraten nachzulesen. Darin decken die beiden US-Journalisten Jonathan Allen und Amie Parnes minutiös die Ursachen für dieses Scheitern auf. Ihre zentrale Schlussfolgerung: Eine von allen – inklusive sich selbst – völlig überschätzte Kandidatin, deren Aufstieg zur wichtigsten Frau der Welt von allen erwartet worden ist. Clinton hätte diese Wahl nicht verlieren dürfen. Das glaubt Donald Trump offenbar heute noch, wie er da und dort fallen lässt.

Warum sie es dennoch tat, fassen die Autoren schonungslos zusammen: Es sei eine Kombination von Selbstüberschätzung, Schuldzuweisung an andere, mangelnde Einsicht in die eigenen Fehler und das Schweigen ihrer Umgebung gewesen. Niemand habe es gewagt, sie auf Fehlleistungen hinzuweisen. Es sei einem Todesurteil gleichgekommen, ihre Kompetenz infrage zu stellen. Und an anderer Stelle wird ein Verbündeter so zitiert: „Sie ist nicht besonders selbstreflektierend.“

Liest man diese Geschichte eines spektakulären Misserfolgs, so beschreibt sie neuerlich alle Faktoren, warum sich am Ende des Tages hochgejubelte Personen des öffentlichen Lebens und/oder Politiker so oft als überschätzt herausstellen, warum sie eigentlich – Wahlkampf hin oder her – besser daran täten, Erwartungen zu dämpfen, statt sie über alle Maßen noch zu steigern.

Es ist ein Faktum, dass Politiker mit besonders hoher Erwartungshaltung lediglich die Projektionsfläche für die oft diffusen Wünsche der Öffentlichkeit sind–für ihre Bedürfnisse und ihre Sehnsüchte. Oft genügt dann schon ein Fehler, und die Konturen auf dieser Fläche verwischen sich – immer mit kräftiger Unterstützung jener Medien, die sie zuvor nicht grell genug beleuchten konnten.

In der kleinen österreichischen Welt treibt dies seltsame Blüten im Boulevard: Da wird dann rasch jemand zum Austro-Obama erkoren oder zum Austro-Kennedy erklärt. Das ist so daneben, dass sich nicht einmal eine Zuschreibung zu konkreten Personen lohnt.

Aber zurück zu den allgemein gültigen Faktoren: Einer, vielleicht dergefährlichste, ist das Zusammentreffen der Berechtigungsillusionen – jener des betreffenden Politikers mit jenen seiner Umgebung, den Sympathisanten, Unterstützern, Mitarbeitern in seiner „Blase“.

Manche, die ein öffentliches Amt anstreben, glauben, dieses stünde ihnen einfach zu, und die meisten Menschen in ihrer Umgebung bestärken sie noch in diesem Glauben. Etliche tun das aus Überzeugung, viele aber nur zur Förderung des eigenen Aufstiegs, der eigenen Karriere. Das muss zwangsläufig zu einem verzerrten Selbstbild führen.

Wie ließe sich das alles vermeiden? Um die Falle der (Selbst-)Überschätzung und ein unerfreuliches Ende des Dramas zu umgehen, müsste sich die betreffende Galionsfigur mit einer ganzen Kohorte von advocati diaboli umgeben, also mit Widerspruchsgeistern, die ihre Aufgabe in der ständigen Herausforderung des Perspektivenwechsels, in der Überbringung der schlechten Nachricht und in der „Wahrheit“ sehen. Sie müsste ihre Fähigkeit, Kritik einzufordern und dann zu akzeptieren, pflegen und stärken. Sie müsste zwischen falschen und echten Freunden unterscheiden können. Und sie müsste sich zur Selbstreflexion zwingen.

Dann wenigstens würde sie nicht der Vorwurf treffen, mit dem Clinton konfrontiert ist: Sie übernehme keine Verantwortung für ihr Scheitern.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zur Autorin:

Anneliese Rohrer ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse.com/blog/rohrer

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2017)

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