Wir Bösmenschen: Abwertung und Aggression als Erfolgsrezept

Warum Appelle an niedrige Instinkte gerade in Österreich viel zu oft auf offene Ohren stoßen, nur wenige Politiker der Versuchung widerstehen und niemand darüber reden will.

Gutmensch gilt in Österreich als Schimpfwort. Das Urheberrecht dafür dürfen Politiker und Medienleute des rechten Spektrums für sich in Anspruch nehmen. Man versteht darunter nicht vielleicht einen Naivling mit extremem Helfersyndrom wie im Englischen, sondern jemanden, der von links her dem Establishment und seiner Klientel etwas Böses will. Das ist bezeichnend.

Die Schubhaft für zwei achtjährige kosovarische Mädchen ist nur der jüngste Anlassfall, darüber nachzudenken, woher diese Tendenz zu unterschwelligen Aggressionen, diese Lust an der Abwertung anderer Menschen kommen. Wieso wird – wie bei Arigona Zogaj, Helmut Elsner, den Audimaxisten 2009 – so viel negative Energie zur Abreaktion freigesetzt? Woher kommt dieser Hang zur Bösartigkeit, der die Verächtlichmachung anderer, wenn er in Politik gegossen wird, immer wieder mehrheitsfähig macht?

Man würde es sich zu einfach machen, die Antwort auf diese Frage an einem Namen und einer Zeitspanne festzumachen. Gewiss, Jörg Haider, dessen Todestag sich am Sonntag zum zweiten Mal jährt, war in den Neunzigerjahren der Erste, der den Appell an die niedrigen Instinkte der Wähler zur hohen politischen Kunst entwickelte. Er „führte“ seine Gegner, Flüchtlinge der Balkankriege, aber auch ganz andere unbescholtene Leute, seinen Anhängern zur Gaudi und zum Schenkelklopfen „vor“. Je lauter dieser Lärm, desto mehr Wähler liefen ihm zu. Je ätzender sein Ton, desto schallender das Gelächter.

Nur, Haider trifft bei diesem „Erfolg“ nicht die Schuld des Verführers. Er traf auf bereitwillige Akzeptanz bei den Verführten. Wann immer es in den letzten Jahren zwischen Menschlichkeit und Aggression zu entscheiden galt, stellten sich erschreckend viele auf die Seite der Aggression. Bösartigkeit kommt politisch an. Die Konsequenzen daraus sind manchmal plump, manchmal scheinheilig-versteckt wie bei etlichen SPÖ-Vertretern oder der Wunsch der Wiener ÖVP einer Bildungsdebatte „am besten auf Deutsch“.

Das Schüren von Ressentiments hätte aber in den Jahren seit Haiders Blütezeit – und diese ist immerhin schon mehr als zehn Jahre her – nicht so erfolgreich sein können, würde es nicht einer Grundstimmung in der Bevölkerung entsprechen; und würde irgendjemand über die politische Instrumentalisierung dieses Bedürfnisses nach Überlegenheit reden wollen.

Dessen Befriedigung ist die Ursache, warum die Politik in Österreich auf fast allen Ebenen derzeit so ist, wie sie ist: Bei Ausländern wird reflexartig an Verbrecher gedacht, bei Asylwerbern an Missbrauch und Aufenthalt-Erschleichen, bei Studenten an Faulenzer, bei Sozialhilfeempfängern an Schmarotzer.

Wegen dieser Bereitschaft aber, allen anderen prompt nur das Schlechteste zuzutrauen, ist für so manche Fähige die Teilnahme am politischen Geschäft unattraktiv geworden, weshalb das Personal heute eben so ausschaut. Da auch Medien das Bedürfnis nach Überlegenheit, das sie beim Publikum registrieren, befriedigen wollen, sind sie an der Entwicklung nicht unschuldig. Schlechte Politik aber trifft alle.

Daher sollte über die tieferen Ursachen der latenten Mieselsucht und ihrer Auswirkungen nachgedacht werden. Sie liegt nicht bei den Politikern, diese fördern sie nur. Es ist nicht sehr populär, aber: Die Wähler müssten sich selbst gegen Neid, Hass und Verachtung immunisieren. Erst dann wird die Politik nachziehen. Es wäre zum Vorteil aller.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2010)

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