Schockstarre im Kabinett Faymann I? Ein Rücktritt von Verteidigungsminister Darabos wäre eine gute Gelegenheit gewesen, Schwachstellen zu beseitigen. Zwei Jahre vor der Wahl ein idealer Zeitpunkt.
Mitglieder des Kabinetts Faymann I – ein Wort sowohl für die Regierung als auch für das Büro des Bundeskanzlers – müssen allesamt von Schockstarre gelähmt sein. Gemeint ist dieses Mal nicht der schon als geflügeltes Wort durch die heimische Politik schwirrende „Stillstand“. Die Rede ist vielmehr von der Tatsache, dass die rot-schwarze Regierung eine weitere Chance auf einen sogenannten jump start, auf einen neuen Anstoß für die verbleibende Regierungszeit also, nicht erkannt und versäumt hat.
Eine bessere Gelegenheit als jene Blamage, die Verteidigungsminister Norbert Darabos (SPÖ) mit der Rückkehr von Generalstabschef Edmund Entacher auf seinen alten Posten erlitt, wird sich so bald nicht bieten. Nur wer im Denken und Tun total gelähmt ist, konnte das nicht erkennen.
Wenn schon Darabos vor Schock so erstarrt war, dass er nicht begriff, was zu tun war – nämlich den Rücktritt einzureichen –, so hätte ihm wenigstens das Kabinett (Ministerkollegen und Faymann-Mitarbeiter) das klarmachen müssen. Nach einer Blamage dieses Ausmaßes müsste ein Rest an Selbstachtung zur Einsicht führen: Absalutieren ist die einzig ehrenvolle Konsequenz!
In jedem Lehrbuch der politischen Technik hätten Werner Faymann und Michael Spindelegger nachlesen können: Mit dem Rückzug eines Ministers kann man jede Neuaufstellung des Teams argumentieren. Zwei Jahre vor dem nächsten regulären Wahltermin wäre dies jetzt auch der ideale Zeitpunkt. Abgesehen davon könnte man Neuanfang und Willen zur Überwindung der Lethargie signalisieren. Der ideale Zeitpunkt ist aber nun verstrichen.
Irgendjemand im Kabinett Faymann I hätte das am Wochenanfang erkennen und den Erstarrten am Ballhausplatz aufrütteln müssen. Dann wären weitere Blamagen der letzten Tage weniger aufgefallen. Zum einen, dass das Bildungsvolksbegehren, bei dem Unterrichtsministerin Claudia Schmidt Aufforderungen an sich selbst unterzeichnete und das von allen relevanten Institutionen des Landes mit großem Werbeaufwand unterstützt worden ist, beinahe gefloppt wäre. Mehr kalte Schulter als Apathie der Zivilbevölkerung.
Zum anderen, dass an zwei österreichischen Spitälern – im Wiener AKH und in der Innsbrucker Kinderklinik – gerade diese Woche die Defizite in der Gesundheitspolitik nicht mehr zu vertuschen waren, während Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) sich um so dringende Themen wie Schönheitsoperationen für unter 14-Jährige kümmert. In Innsbruck geht es um Kinderleben, im AKH um tausende Patienten.
Nach dem erwähnten Lehrbuch hätten Faymann und Spindelegger unter vier Augen besprechen müssen, wie denn ein Darabos-Rücktritt in eine Win-Situation für die Regierung umzuwandeln ist. Mit dem Paukenschlag einer Regierungsumbildung hätte man das Überraschungsmoment auf seiner Seite gehabt, rasches Handeln und den unbändigen Ehrgeiz signalisiert, das letzte Arbeitsjahr doch nützen zu wollen. Handeln wider alle Erwartungen ist politisch und medial ein großer Vorteil.
Wie heißt es: Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft hat schon verloren. Es muss doch in der derzeitigen Führung auch noch Kämpfer geben. Der Rest ist Überredungskunst, mit der man Erstarrte wachrüttelt.
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Zur Autorin:
Anneliese Rohrer
ist Journalistin in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer.
Ihr neues Buch: „Ende des Gehorsams“ (Verlag
Braumüller).
Der nächste
Mutbürgerstammtisch findet am
14. November um
17 Uhr im Wiener Burgkino statt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2011)