Das Eisbärenbaby des Sozialismus knutscht mit einem Antisemiten

Rechtsradikale und Rassisten als Partner der Linken? Kein Problem, wenn es um die Macht geht!

In Griechenland waren am Sonntagnachmittag die Stimmen noch gar nicht fertig ausgezählt, als der bekannte Wiener Ökonom Stephan Schulmeister schon per Rundmail zu einer Siegesfeier für die linksextremen Gewinner aufrief: „Wir feiern mit Syriza, um die europäische Dimension des Syriza-Wahlerfolges zu verdeutlichen. [...] Wir feiern, weil wir diesen für einen wichtigen Schritt weg von der Austeritätspolitik der Troika und hin zu einem anderen, sozialen Europa verstehen und befürworten. Bitte diese Mail weiterleiten, je mehr feiern, desto klarer das Signal! Merci! Stephan S.“

Zu feiern gibt es ja einiges. Zum Beispiel, dass Syriza-Chef Alexis Tsipras nun eine Koalition mit dem offen antisemitischen und ausländerfeindlichen Politiker Panos Kammenos („Juden zahlen in Griechenland keine Steuern“, Griechenland als „Opfer einer internationalen Verschwörung“) eingeht.

Dass sich Schulmeister offen zu Syriza bekennt, entbehrt nicht einer gewissen Delikatesse. Denn Schulmeisters Arbeitgeber, das Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo, wird ja von jener Republik Österreich alimentiert, deren Enteignung auf dem Wege eines Schuldenschnitts Syriza bekanntlich anstrebt. Das hat was.

Davon, dass Herr Schulmeister zu einer Demo gegen die antisemitischen Bettgenossen des Herrn Tsipras aufruft, war hingegen noch nichts zu vernehmen. Schließlich ist Tsipras ja die große, knuddelige Zukunftshoffnung der Linken schlechthin, so eine Art Eisbärenbaby des Sozialismus im 21.Jahrhundert; und da darf man eine Koalition mit einem ausländerfeindlichen Antisemiten eben nicht so eng sehen. Wenn es um den antiimperialistischen „Kampf gegen das Vierte Reich“ (Kammenos) geht, dann muss man halt ein bisserl Antisemitismus akzeptieren. Man kann sich als aufrechter Antifaschist ja nicht um alles kümmern.

Auch dass Marine Le Pen, Chefin des rechtspopulistischen französischen Front National und informelle Verbündete der Strache-FPÖ öffentlich ihre Freude über den Sieg Tsipras bekundet hat, irritiert dessen hiesige linke Groupies offenbar nicht. Was zählt, ist dass in der Person Tsipras endlich wieder einmal ein Linker regiert, der sich nicht, wie sogar manche europäischen Sozialdemokraten, kleinlich den Kopf darüber zerbricht, wo das Geld herkommen soll, mit dem er sich die Mehrheit der Wählerstimmen erkauft hat.

Da wächst offenbar, und nicht nur in Griechenland, ideologisch zusammen, was nur scheinbar nicht zusammengehört, nämlich rechtspopulistische Parteien nach Art der Kammenos-Partei, der FPÖ oder des Front National auf der einen Seite und auf der anderen die deutsche Linkspartei, Herrn Tsipras Syriza und dessen hiesige Sympathisanten im linken Lager. Nationaler Sozialismus meets internationalen Sozialismus – passt schon.

Sie alle eint wesentlich mehr, als sie trennt. Sie alle propagieren einen starken Staat, Etatismus und Dirigismus (zugunsten der „Kleinen Leute“), sie stehen dem Kapitalismus und der Marktwirtschaft mehr oder weniger ablehnend gegenüber, parasitieren politisch von den tatsächlich erheblichen Dysfunktionalitäten der EU und des Euro und fühlen sich unter charismatisch-autoritären Parteiführern besonders wohl. Da harmoniert die linke Occupy-Bewegung mit der rechten Aversion gegen gewisse Ostküstenkreise und deren Banken, passt der rechte Topos vom „Kleinen Mann“ problemlos zu jenem der Linken von der „sozialen Gerechtigkeit“ und versteht sich der linke „Kampf gegen den Brüsseler Neoliberalismus“ hervorragend mit der rechten Ablehnung einer vermeintlichen „EUdSSR“.

Auch der gemeinsame Gegner eint die boomenden linken wie rechten Hütchenspieler-Parteien: all jene, die Marktwirtschaft, Privateigentum und Wettbewerb für unverzichtbar halten, die die Meinung vertreten, dass man nicht mehr ausgeben kann, als man einnimmt, und deshalb Wählerbestechung auf Pump für wenig verantwortlich halten. Es ist dies eine im weitesten Sinn liberale Haltung, die freilich in ganz Europa immer mehr an Terrain verliert; was zum Teil auch eigenem Versagen geschuldet ist. Jetzt schlägt die Stunde der Hütchenspieler, und Griechenland dürfte erst der Anfang sein.

Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2015)

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