Warum ist es populistisch, die Probleme beim Namen zu nennen?

Auch jenseits des Berliner Terroranschlags gehört nicht nur die deutsche Migrations- und Sicherheitspolitik von moralgetrieben auf faktenbasiert umgepolt.

Für seine unmittelbar nach dem Terroranschlag nach Berlin formulierte Forderung, Deutschland schulde es „den Opfern und der ganzen Bevölkerung, die Zuwanderungs- und Sicherheitspolitik zu überdenken“, ist der bayerische Ministerpräsident, Horst Seehofer (CSU), hart kritisiert worden. Zu Recht: Zu einem Zeitpunkt, da es noch keinerlei belastbare Informationen über die Person des Täters gab, schon einen Zusammenhang zwischen ebendiesem Täter, seinen Opfern und der problematischen Zuwanderungspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel herzustellen ist unseriös.

Seehofers Fehltritt ist umso ärgerlicher, als er damit ohne Not eine Sache diskreditierte, in der er grundsätzlich recht hat. Nicht nur Deutschlands Zuwanderungs- und Sicherheitspolitik ist ja angesichts der Ereignisse der jüngst vergangenen eineinhalb Jahre in der Tat zu überlegen und neu in Richtung Vernunft, Verantwortung und Vorsorge zu justieren – und zwar unabhängig davon, wer dereinst für den Terroranschlag von Berlin verurteilt werden wird.

Das gilt für den Skandal, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten ihre Außengrenzen nach wie vor nicht einmal annähernd so robust gegen illegale Zuwanderung schützen, wie das gemäß europäischem Recht erforderlich wäre. Das gilt für den Skandal, dass noch immer viel zu viele Zuwanderer, die kein Recht auf Asyl haben, trotzdem nicht oder nicht schnell genug abgeschoben werden, sieht man von vereinzelten Show-Abschiebungen wie jüngst einer nach Afghanistan ab.

Das gilt für den Skandal, dass Asylverfahren noch immer viel zu lang dauern und dadurch Personen, die letztlich kein Aufenthaltrecht haben werden, viel zu lang im Land bleiben können. Warum schaffen es Schweizer, Norweger oder Niederländer in vielen Fällen innerhalb von 48 Stunden, ein paar Tagen oder schlimmstenfalls ein paar Wochen Asylverfahren durchzuführen, ohne dass dort der Rechtsstaat kollabieren würde? Seehofers Argument wäre deshalb vollkommen richtig gewesen, auch wenn es in Berlin gar keinen Anschlag gegeben hätte.

Gleichzeitig ist es überfällig, die letzten Residuen jenes hypermoralisierenden Migrationsdiskurses, der 2015 tonangebend war, in der intellektuellen Restmülltonne zu entsorgen. Davon, dass illegale Zuwanderung unsere künftigen Pensionen sichern werde, hört man zum Glück ja nur noch wenig. Auch das seinerzeitige Argument, es entstünden ja keine Kosten, ist mittlerweile als Lüge enttarnt.

Einigermaßen umstritten ist bloß noch die Frage nach Auswirkungen der Zuwanderung auf Kriminalität und innere Sicherheit. Da wird nach wie vor als Hetzer, Populist oder Rechtsradikaler denunziert, wer darauf hinweist, dass mit dem Zuzug einer großen Zahl junger Männer aus problematischen Kulturen zwangsweise zusätzliche Kriminalität entsteht und von der Politik billigend in Kauf genommen wurde.

Das wird freilich wenig weiterhelfen. Wenn etwa Hans Rauscher im „Standard“ nach der Vergewaltigung und Ermordung einer Studentin in Freiburg durch einen Afghanen schreibt, „Sexualverbrechen werden von ,echten‘ Deutschen und Österreichern genauso begangen“ und einen Populisten nennt, wer auf den Zusammenhang zwischen illegaler Zuwanderung und Vergewaltigungsdelikten hinweist, so deutet das auf eine überschaubar steile Lernkurve hin.

Denn immerhin meldet das Innenministerium für die ersten neun Monate des Jahres 2016 knapp 600 Verdächtige in Vergewaltigungsdelikten, von denen 91 Personen (also rund 15 Prozent) Asylwerber sind. Das entspricht nicht wirklich deren Anteil an der Gesamtbevölkerung und deutet deshalb auch nicht wirklich überzeugend in Rauschers „Wird von Deutschen und Österreichern genauso begangen“-These. „Genauso“ nämlich eben offenkundig nicht.

Es wird höchste Zeit, auch diese Problematik der massenhaften Zuwanderung faktenbasiert statt moralgetrieben zu erörtern. Ganz gleich, wer für den Terror in Berlin am Ende verurteilt wird.

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Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des
Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2016)

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