Ökonomische Sensation entdeckt: Zwanghafte Sparwut ruinierte Europa

Auf die Idee muss man erst einmal kommen: Während Griechenland am Rande des Staatsbankrotts dahintaumelt, rechnet der Ökonom Stephan Schulmeister mit der Untugend des Sparens ab.

Quergeschrieben

Wenn der nächste Nobelpreis in der Kategorie Nationalökonomie vergeben wird, dann wird die Jury wohl nicht darum herumkommen, den in ganz Österreich weltberühmten Wirtschaftsexperten Stephan Schulmeister mit dieser Auszeichnung zu bedenken.

Denn Schulmeister verdanken wir eine geradezu revolutionäre Erkenntnis, die wohl geeignet ist, ganz Europa in eine strahlende wirtschaftliche Zukunft zu führen: Nicht, wie bisher vielfach irrtümlich angenommen, die Schuldenexzesse sind für die Malaise der Eurozone verantwortlich, sondern ganz im Gegenteil: die kleinliche Spargesinnung der EU. Potz Dautz! Eine zentrale „Komponente der EU-Identität wurde das Sparen,“ deckt der Nobelpreisträger in spe im aktuellen „Falter“ auf, „das Bildungs- oder Gesundheitssystem eines Staates, die Höhe der Arbeitslosigkeit – das ist bedeutungslos gegenüber der Frage: Sparst Du genug, um ein Defizit zu vermeiden? Kein Thema hat die politische Auseinandersetzung in der EU seit 20 Jahren so sehr geprägt wie das Sparen.“

Na klar, ein kurzer Blick auf die Zahlen zeigt sofort, wie sich der brutale Sparzwang der herzlosen, menschenverachtenden Brüsseler Spardiktatur ausgewirkt hat. Verzeichnete etwa Österreich vor dem EU-Beitritt einen Schuldenstand von gigantischen 27 Milliarden Euro (35 Prozent des Bruttosozialproduktes) im Jahr 1980, dann 77 Milliarden im Jahr 1990, 119 Milliarden beim EU-Beitritt 1995, waren es – offenbar der Sparwut wegen – 2010 läppische 205 Milliarden (oder 72,3 Prozent des Bruttosozialproduktes). Ähnliches gilt mehr oder weniger für die ganze Eurozone: Dort ist die Staatsverschuldung in den von Schulmeister zitierten 20 Jahren des vermeintlichen Sparwahns von 56,6 Prozent im Jahre 1990 auf 66,1 Prozent im letzten Jahr vor der Krise (2007) angestiegen und liegt nun bei bemerkenswerten 76 Prozent (2010).

Noch brutaler Sparen kann man wirklich nicht. Wie drastisch die EU ihre Mitglieder zum Sparen nötigt, zeigen ja auch Defizite der Nicht-Euro-Länder Schweiz und Tschechische Republik: Dort liegen die Staatsschulden gerade bei der Hälfte der in der Eurozone gemessenen Werte. Wohl auch eine Folge des dortigen Sparwahns.

Nun ist es selbstverständlich das gute Recht Schulmeisters, sich einer solchen Argumentation zu bedienen. Weniger erbaulich daran ist freilich, dass er damit jenen Politikern einen scheinbar wissenschaftlichen Persilschein ausstellt, die wie der Wiener Bürgermeister Michael Häupl gern und zur Freude der bildungsferneren Schichten gegen einen angeblichen „Einsparungswahnsinn“ wettern.

Mit seinen eigenartigen Thesen stellt Schulmeister der Politik sozusagen eine pseudowissenschaftliche Genehmigung aus, den erfolgreichen Kurs der griechischen Finanzpolitik der letzen Jahrzehnte zu kopieren: Schulden machen, bis der (deutsche) Arzt kommt.

Aber in Schulmeisters nationalökonomischem Milieu ist das vermutlich kein Problem: Haben wir so viel Schulden, dass uns niemand mehr Geld borgt, muss eben eine „europäische Ratingagentur“ her, die uns (oder den Griechen) auf eine dezente Weisung Brüssels hin beste Bonität bestätigt – und schon werden uns die Geldgeber wieder zu besten Konditionen frische Milliarden borgen.

Da ist kein Zweifel möglich: Der nächste Ökonomie-Nobelpreis wird Schulmeister nicht zu nehmen sein.


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Zum Autor:

Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronline. Das Zentralorgan des Neoliberalismus“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2011)

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