Ein Appell an den Bürgermeister: Wien darf nicht Venedig werden!

Auch wenn George Clooney und Michael Häupl etwas gemeinsam haben: Werbung auf öffentlichen Gebäuden ist trotzdem ein Unding. Wehret den Anfängen.

Würde man die Wienerinnen und Wiener nach Gemeinsamkeiten zwischen George Clooney und ihrem Bürgermeister fragen, erntete man wohl fragende Blicke. Gut, beide waren in ihrer Jugend sportlich, sind intelligent und bei der Frauenwelt beliebt. Beide sind in ihren Berufen seit Jahren erfolgreich, beide wurden katholisch erzogen und stehen heute links der Mitte. Aber viel mehr Ähnlichkeiten drängen sich auf den ersten Blick nicht auf.

Dennoch haben sie eines gemeinsam: die Vorliebe für Kaffee. Um genauer zu sein: Beide mögen Nespresso. Bei George Clooney kann man das in Filmspots sehen. Michael Häupl benötigt dazu das Rathaus. Auf dessen rückwärtiger Fassade hängt seit Wochen eine Werbung für Nespresso. Und damit trifft mich der Wiener Bürgermeister, natürlich ohne Absicht, ins Herz.

Zu lange habe ich mich in Venedig über die Verschandelung des Markusplatzes, der Piazzetta und der Seufzerbrücke mit Werbebannern geärgert. Die Gebäude dort sind zu Reklameflächen verkommen, egal, wie heftig Donna Leon und andere dagegen protestiert haben. Auch in Wien sah man am Turm des Stephansdoms Werbebanner. Dort wurden sie entfernt.

An der Vorderfront der Votivkirche sind sie unübersehbar. Nun prangt Werbung auch am Rathaus, wenngleich die Vorderfront noch verschont ist. Auf dem Friedrich-Schmidt-Platz aber, von wo aus der Kulturstadtrat auf das Rathaus blickt, sieht er „Nespresso. All you need is milk“. Seufzt er „All you need is money“? Anderseits: Ist es nicht altmodisch, öffentliche Gebäude frei von Werbung zu halten? Muss das Rathaus keuscher sein als die Votivkirche? Was George Clooney passt, kann doch Michael Häupl nur recht sein.

Eines aber verstehe ich nicht: Warum hat sich der Bürgermeister nicht den Spaß gemacht und seine Stadträtinnen und Stadträte um Slogans für die Rathausfassade ersucht? Sicher wäre seiner grünen Vizebürgermeisterin und Verkehrsplanerin ein Zitat von Adolf Loos eingefallen, zum Beispiel: „Veränderungen der alten Bauweise sind nur erlaubt, wenn sie eine Verbesserung bedeuten. Man darf nur dann etwas Neues machen, wenn man etwas besser machen kann.“

Möglicherweise hätte eine aufmüpfige SPÖ-Sektion am Alsergrund zu Oscar Wildes „Der Sozialismus und die Seele des Menschen“ gegriffen und den trotzigen Satz gefunden: „Wenn der Sozialismus autoritär ist, dann wird die letzte Stufe des Menschen schlimmer sein als die erste.“ So animiert hätten die Rathausparteien vielleicht über den Klubzwang gegrübelt und den Wahlspruch „Nur in freiwilligen Vereinigungen ist der Mensch schön“ für die Fassade vorgeschlagen. Doch genug Oscar Wilde.

Glauben Sie nicht, dass manchem Mitglied des Wiener Gemeinderats Nestroy eingefallen wäre? In „Judith und Holofernes“ loben die Untertanen, die sich vor Holofernes fürchten, ihren Anführer zähneknirschend: „Weil er uns sonst niederhaut, preisen wir ihn alle laut.“ Ich bin mir auch sicher, dass dem Bürgermeister selbst etwas Lustigeres als die Nespresso-Werbung eingefallen wäre.

Etwas zum Schmunzeln, etwas Persönliches vielleicht: etwa ein Rückgriff auf seine Tätigkeit als anerkannter Herpetologe (siehe Häupl, M. et al.: „Lurche und Kriechtiere Niederösterreichs“, 1983) im Naturhistorischen Museum, in dem er als junger Wissenschaftler im Katalog so interessante Lebewesen wie das Chamaeleon vulgaris („besitzt ein reiches Repertoire an Drohgebärden; gefährliche Schleuderzunge“), die Vipera bornmuelleri („relativ träge, kann jedoch bei Bedrohung schnell zubeißen“) oder die Copepoden („kosmopolitisch verbreitet; sind in mehreren Linien zum Parasitismus übergegangen“) beschrieben hat.

Ließe man ihn nur, er würde sicher eine augenzwinkernde Botschaft auf das Rathaus setzen, beispielsweise: „Als Biologe kenne ich bedrohte Arten. Als Bürgermeister schütze ich sie!“ Hand aufs Herpetologenherz: Wäre das nicht alles besser als eine Kaffeereklame?

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Kurt Scholz war von 1992 bis 2001
Wiener Stadtschulratspräsident, danach bis 2008 Restitutionsbeauftragter der Stadt Wien. Seit
Anfang 2011 ist er
Vorsitzender des Österreichischen
Zukunftsfonds.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2014)

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