Was strebt die Bildungspolitik an – und was davon kann sie halten?

Die Forderung nach besserer sozialer Durchmischung der Schulen ist ethisch berechtigt. Die Unterrichtsverwaltung allein kann sie allerdings nicht lösen.

Die neue Unterrichtsministerin ist eine erfrischende Erscheinung. Arbeiterkind, Matura, erfolgreiches Biologiestudium, Bewährungsproben in der Wirtschaft, Rektorin und Präsidentin der Österreichischen Universitätenkonferenz – diese Karriere ohne Parteibuch (das kommt angeblich erst jetzt, warum eigentlich?) verdient Respekt.

Auch ihre ersten Interviews klingen überzeugend, ein wenig beschwörend, aber durchaus hellsichtig. So etwa, wenn die oberste Bildungsverantwortliche bei der Präsentation des nationalen Bildungsberichts betont, eine bessere soziale Durchmischung der Schulen sei notwendig: „Das muss sich ändern.“ Richtig: Abgeschottete Pflanzstätten für Kinder selbsternannter Eliten sind genauso wenig leistungsfördernd wie Schulen in Stadtvierteln, in denen Resignation herrscht. Die Gretchenfrage ist nur, wer die sinnvolle Forderung nach Durchmischung dieser Lebenswelten herbeiführen kann?

Nähert man sich diesem Thema seriös, sieht man, wie begrenzt die Möglichkeiten der Schulverwaltung sind. International endete der einzige Großversuch, eine Durchmischung unterschiedlicher Lebensformen mit den Mitteln der Unterrichtsverwaltung zu erreichen, im Desaster. In den 1970er- und 1980er-Jahren machte man in den USA gewaltige Anstrengungen, mittels eines Busing das Problem der sozialen Segregation von Schülerinnen und Schülern zu beseitigen.

Kostenlos transportierte man Kinder aus Armenvierteln in die Schulen der Wohlhabenden am Stadtrand. Als man versuchte, das auch umgekehrt zu organisieren, setzte ein White flight ein. Alle, die es sich irgendwie leisten konnten, brachten ihre Kinder in Privatschulen unter. Der Versuch der Schulverwaltung, eine soziale Durchmischung zu erreichen, fand auch aufgrund der vielen Stunden, die die Kinder in Schulbussen verbringen mussten, ein rasches Ende.

Dem Gerechtigkeitsstreben der Bildungsverantwortlichen wurden Grenzen aufgezeigt: Nur wenige Eltern wollten akzeptieren, dass ihre Kinder in Schulen außerhalb des eigenen Wohnviertels unterrichtet werden. Das Desegregation busing war politisch am Ende, als Medienberichte aufzeigten, wie viele vehemente Befürworter der „Kinderverschickung“ in andere Wohnviertel ihre eigenen Kinder in nahen Privatschulen untergebracht hatten. Die Kennedys waren ein prominentes Beispiel.

Schulen befinden sich, was ihre soziale Zusammensetzung betrifft, in Geiselhaft der Arbeits-, Wohn- und Verkehrsverhältnisse. Man kann Sechs-, Sieben- oder Achtjährige nicht einfach vom Lerchenfelder Gürtel nach Hietzing und im Gegenzug Hietzinger Kinder nach Ottakring bringen. Beide wären unglücklich, auch wenn der lautere Aufschrei sicher aus den Nobelvierteln käme. Die Absicht einer gerechten Verteilung soziologischer Probleme ist ethisch lobenswert. Verwirklicht werden kann sie aber nur durch eine kluge Arbeitsplatz-, Verkehrs- und Wohnpolitik. Werden De-facto-Ghettos akzeptiert, sind Ghettoschulen das logische Ergebnis.

Lehrerinnen und Lehrer können dagegen wenig tun. Ihre Schülerpopulation kommt nicht von der Sonnenseite der Straße, sondern aus dem Schatten. Ihnen Licht und Hoffnung zu vermitteln, ist weit über die Schule hinaus ein Verdienst.

Das Beispiel der besseren sozialen Durchmischung demonstriert, wie sehr die meisten Probleme der Schule nicht pädagogischer, sondern gesellschaftlicher Natur sind. Nicht die Direktorinnen und Direktoren bestimmen die Population ihrer Schulen, sondern die Wohn- und Arbeitssituation der Umgebung. Kein Lehrkörper kann die Elternschaft rund um eine Schule austauschen.

Die neue Unterrichtsministerin hat in den ersten Tagen ihrer Amtsführung ein gesellschaftliches Problem erkannt und benannt. Verändern kann sie es mit den Mitteln der Schulverwaltung bloß marginal. Man wird sehen, wie enthusiastisch die Unterstützung ihrer Ideen in- und außerhalb der Regierung ausfallen wird.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Kurt Scholz war von 1992 bis 2001
Wiener Stadtschulratspräsident, danach bis 2008 Restitutionsbeauftragter der Stadt Wien. Seit Anfang 2011 ist er
Vorsitzender des
Österreichischen
Zukunftsfonds.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2016)

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