Sie singen wieder: Die süßen Lieder von den unerfüllbaren Versprechen

Nicht lange, sondern kurze Legislaturperioden sowie die Aufklärungsarbeit von Lehrern sichern den Bestand des demokratisch verfassten Staates.

Wie das Amen im Gebet, so sprießen in der Vorwahlzeit die vollmundigen Ankündigungen der Parteienvertreter, welche Wohltaten sie zu tätigen gedenken, sollten sie vom Wahlvolk bevorzugt werden. Sparpakete und Aufrufe, den Gürtel enger zu schnallen, sind von gestern. Noch mehr Schulden in Kauf zu nehmen, wenn Stimmen dafür winken, gilt als Gebot der Stunde.

Mit beißender Ironie prangert mein querschreibender Kollege Christian Ortner diesen Mangel der Demokratie an, die sich – so seine kantig und hart klingende Wortschöpfung – in „Prolokratie“ verwandelt. Seinem streng ernüchternden Befund zufolge sind – ausgenommen höchstens bei dauerhafter wirtschaftlicher Prosperität – Demokratie und verantwortungsvolles Verwalten staatlichen Besitzes und staatlicher Schulden unvereinbar.

Ich glaube jedoch nicht, dass Ortners Diagnose ohne Wenn und Aber zutreffen muss. Zwei Gegenargumente seien genannt. Das erste ist eingestandenermaßen utopisch: Es geht von der Erkenntnis aus, dass sehr lange Legislaturperioden das Verkünden unverantwortbarer Wahlversprechen fördern. Denn dann steht bei der Wahl viel auf dem Spiel. So gesehen war die einst beschlossene Verlängerung der Gesetzgebungsperiode von vier auf fünf Jahre eher schädlich als nützlich.

Vom antiken römischen Staat, als er noch vor der durch Korruption verdorbenen Spätphase eine blühende Republik war, könnte man lernen: Damals wurde jedes Jahr gewählt. Nicht der permanente Wahlkampf, sondern dessen Bagatellisierung wäre die Folge. Der Machtwechsel würde unaufgeregt vonstatten gehen, weil man ihn als alltäglich empfände.

Langfristige Probleme müssten von den staatstragenden Parteien ohnedies gemeinsam bewältigt werden, wobei es nur hilfreich wäre, wenn in Jahresfolge einmal die eine, dann wieder die andere vorrangig bei der Entscheidungsfindung zum Zug käme. Dem Volk dabei etwas vorzugaukeln zahlte sich bei schnell aufeinanderfolgenden Wahlgängen nicht aus. Außer das Volk würde, wie es beim Niedergang der Republik zu Zeiten Cäsars geschah, schamlos für dumm verkauft. Und es wäre fatal, zu glauben, dass sich nur im Rom der Antike der Verfall von Demokratie durch Verführung des Volkes ereignen konnte.

Dies führt zum zweiten, nicht so wirklichkeitsfremden Gegenargument: Die notwendige Bedingung für das Gelingen von Demokratie ist, dass der zur Wahl gerufene Souverän politisch aufgeklärt ist.

Im Habsburgerreich Leopolds I., Josephs I. oder Karls VI. wäre der Gedanke einer demokratisch gewählten Regierung schon deshalb völlig widersinnig gewesen, weil bis auf wenige des Lesens, Schreibens und Rechnens Kundige niemand mit dem Wahlzettel etwas anzufangen gewusst hätte. So gesehen hat Maria Theresia mit der Einführung der allgemeinen Unterrichtspflicht das Ende eines Staates tumber Untertanen besiegelt.

Schulen sind nicht nur für die Karriere des Einzelnen von Bedeutung, sondern auch für das Gelingen des demokratisch verfassten Staates. Die Lehrerschaft sorgt dafür, dass die zukünftig zu Wahlen Gerufenen so viel Einblick und Wissen gewonnen haben, dass sie dreiste Wahlversprechen ohne bleibende Wirkung als Lug und Trug entlarven. Und Österreichs Schulen sind, bei aller berechtigten Kritik, immer noch so gut, dass man ihnen diese Leistung zutrauen darf.


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Zum Autor:

Rudolf Taschner ist Mathematiker und Betreiber des math.space im quartier 21, Museumsquartier Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2013)

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