Aus der Liste der fast verloren gegangenen Begriffe: Preßburg

Mit einer übertrieben korrekten, ja als verklemmt zu bezeichnenden Prinzipienreiterei verschließt man die Augen vor der Geschichte, statt sie zu öffnen.

Der Schnellzug ICE21 fährt von Frankfurt nach Wien. Genauer: Er fährt nicht nach Wien Westbahnhof, sondern nach Wien Hauptbahnhof. Noch genauer: Wien Hauptbahnhof ist nicht der letzte Bahnhof dieses Zuges, dieser ist als besonderer Dienst für Flugreisende der Bahnhof Wien Flughafen.

Aber dort endet der Zug, obwohl es mehr als naheliegend wäre, ihn bis nach Bratislava weiterzuführen. In das von Wien keine 60 Kilometer Luftlinie entfernte Bratislava fährt kein dem ICE vergleichbarer Schnellzug und man muss, auf den Bummelzug verwiesen, mit einer Fahrtdauer von einer Stunde oder gar mehr rechnen. Im Vergleich dazu ist die bequeme Reise zu dem viel weiter entfernten Linz ein Katzensprung.

Dabei hatte es einst neben der heute noch existierenden Badner Bahn auch eine Preßburger Bahn gegeben, Slowakisch: die Viedenská električka, die Wiener Elektrische. Aus Wiener Sicht fuhr man nach Preßburg, aus der Sicht der Einwohner von Bratislava, damals auch Prešporok genannt, nach Viedeň. Oder wie die damals zahlreichen in Pozsony lebenden Ungarn zu sagen pflegten: nach Bécs.

Aller verschiedener Namen zum Trotz fühlte man sich damals anscheinend enger verbunden als heute. In gewisser Hinsicht war man es auch.

Mit einer übertrieben korrekten, ja geradezu als verklemmt zu bezeichnenden Pedanterie bemühen sich Prinzipienreiter krampfhaft, die Ortsnamen bei der Ankündigung von Bahnstationen, bei Verkehrszeichen und bei offiziellen Nennungen allein in der Sprache des jeweiligen Landes erklingen oder erscheinen zu lassen. So, als ob es ungehörig wäre, neben – nicht statt, sondern neben! – Bratislava jedenfalls auf österreichischer Seite auch Preßburg zu schreiben, Züge von Wien nach Znojmo, nach Znaim, fahren zu lassen, auf der Prager Straße den Hinweis anzubringen, dass sie nach Praha/Prag führt, und bei der Brünner Straße analog auf Brno/Brünn zu verweisen.

Verwirrung richtet man damit nicht an. Und kein Vernünftiger käme auf die Idee, dass dies ungehörig wäre – ganz im Gegenteil: Es zeichnet eine Stadt oder einen Landstrich aus, in verschiedenen Sprachen eigene Namen zu besitzen, selbst wenn sich diese nicht in der Schrift, sondern nur in der Aussprache unterscheiden, wie es bei Paris oder Budapest der Fall ist. Im Übrigen haben die haarspalterischen Krämerseelen bei Metropolen wie Moskau oder Rom ohnehin keine Chance.

Mag sein, dass das Verschweigen der deutschen Namen von Ortschaften, die einst der Donaumonarchie angehörten, aus einer verschrobenen Auffassung von Geschichte herrührt. So, als ob man damit ein Zeichen setzen möchte, dass man sich der dunklen Vergangenheit des als Völkerkerker bezeichneten Habsburgerreiches bewusst sei und diese wenigstens in der Sprache zu bewältigen versuche.

Ein Motiv, das man nur als albern und lächerlich bewerten kann. Mag sein, dass man sich beim Kaprizieren darauf, allein die derzeit am jeweiligen Ort üblichen Namen zu nennen, als moderner Europäer fühlt, dem die Vielfalt der Regionen am Herzen liegt. In diesem Fall übersieht der politisch Korrekte, dass er die von ihm gepriesene Vielfalt durch eine seichte Einfalt konterkariert.

Nicht weltbewegend, aber verdrießlich ist diese engherzige Einfalt doch. Geradezu widersinnig empfindet man sie beim Betrachten der Landkarten auf den Umschlaginnenseiten von Manfried Rauchensteiners Buch über den Ersten Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie: Aus völlig unnachvollziehbaren Gründen sind die historischen Namen der im Geschehen wichtigen Orte ersatzlos durch „die heute üblichen topografischen Bezeichnungen“ substituiert.

Ganz anders in dem Standardwerk „Die Schlafwandler“ von Christopher Clark: Wie es sich gehört, liest man in einer Karte von 1914 die Namen Fiume (Rijeka), Agram (Zagreb) oder Spalato (Split). Und auch 2015 darf sich Laibach zu Ljubljana gesellen.

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Der Autor:

Rudolf Taschner
ist Mathematiker an der TU Wien und betreibt mit seiner Frau und mit Kollegen der TU Wien das Projekt math.space im Wiener Museumsquartier.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2015)

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