Der Schwärmer für die Sterne: Heinz Oberhummer zum Gedenken

Die Begeisterung des Astrophysikers für die Schönheit des sich in schier unerreichbare Weiten verlierenden Weltenraums war wie dieser selbst grenzenlos.

Zum ersten Mal traf ich Heinz Oberhummer an der Technischen Universität Wien anlässlich einer gemeinsamen Diplomprüfung: Worin ich den Kandidaten geprüft habe, habe ich längst vergessen, nicht aber das Prüfungsthema von Oberhummer: Elementarteilchenreaktionen im Inneren von Sternen. Denn ich war von der – sit venia verbo, aber man kann es kaum anders bezeichnen – Liebe des Prüfers für dieses Teilgebiet der Physik höchst beeindruckt.

Im Übrigen trafen wir uns beide in der für den Prüfling vorteilhaften Unart, schon bei der leisesten Andeutung des Kandidaten, die richtige Antwort auf die Frage zu erahnen, ihm ins Wort zu fallen und statt seiner den Rest der Antwort zu ergänzen. Wir wollen uns einfach die Illusion nicht rauben lassen, dass jene, die wir unterrichten, alle Lehrinhalte genauso verstehen, wie wir sie zu verstehen glauben.

Das zweite Zusammentreffen mit Heinz Oberhummer war viel länger im Voraus geplant und intensiver: Er wurde im Oktober 2005 dazu eingeladen, im math.space über neue Entdeckungen im Universum vor einem Publikum von Schülerinnen und Schülern der Oberstufenklassen zu sprechen. Wes das Herz voll ist, dem geht der Mund über: Die ihm zugestandene Vortragszeit war viel zu knapp bemessen, nicht einmal die Hälfte all dessen, was er zu berichten vorhatte, konnte er mit dem ihm eigenen Enthusiasmus vermitteln.

Allein, als es zum unerbittlichen Ende kam, musste er noch unbedingt darlegen, dass seine Adresse sich nicht durch eine einfache vierstellige Zahl, die Postleitzahl 3124, erfassen lässt, dazu ist diese, was den genauen Adressort anlangt, viel zu ungenau. Was jedoch den kosmischen Adressort anlangt, sei sie gänzlich unvollkommen, weil darin nicht enthalten sei, in welchem Land, auf welchem Planeten, in welchem Sonnensystem, in welcher Galaxie, wo im Universum er existiere. Wollte man all dies durch Koordinaten beschreiben, brauchte es viel mehr als eine biedere vierstellige Zahl.

Heinz Oberhummers Begeisterung für die Schönheit des sich in schier unerreichbare Weiten verlierenden Weltenraums war wie dieser grenzenlos. Hinzu kam, wie er über die eigenartige sogenannte Feinabstimmung der Naturkonstanten ins Schwärmen geraten konnte: Wären die Verhältnisse der Elementarteilchenmassen, der Stärken der verschiedenen Typen von Kräften nur um Bruchteile anders, als sie eben gemessen werden, wäre das Universum nicht so geworden, dass auf mutterseelenallein in ihm verstreuten Inseln Leben, gar Bewusstsein, entstehen konnte, das ebendiese fast gänzlich von Leere durchzogene Weltenbühne zu bestaunen in der Lage ist.

Der Idee von Transzendenz über das All hinaus war Oberhummer abhold. Hierin unterschieden wir uns. Es tat dem gegenseitigen Respekt keinen Abbruch. Genauso wie „Gentlemen don't discuss about facts“ gilt die Devise „Gentlemen don't discuss about belief“. Und jene, die in Oberhummer nicht den Gentleman, sondern nur einen witzigen Entertainer der Physik gesehen haben, irren: Er war bei all seinem Humor ein seriöser Vertreter seines Fachs und der öffentlichen Wissenschaft.

Dies bringt mich auf mein drittes Zusammentreffen mit Heinz Oberhummer, das nichts mit der Weltraumphysik, wohl aber viel mit der Verantwortung für die Öffentlichkeit zu tun hatte: Auf Initiative meiner Frau erklärten sich Werner Gruber, Christoph Hofinger, Heinz Oberhummer und andere zusammen mit mir bereit, für die damals, im Frühjahr 2014, noch höchst umstrittene Umgestaltung der Mariahilfer Straße zu werben und sie entlang vom Museumsquartier zum Westbahnhof „westwärts“ – so nannten wir die Aktion – zu wandern.

Dies nicht allein in Hinblick auf ein lokales Projekt, sondern, um die Idee zu befördern, dass Mobilität – zumal die Mobilität in der Stadt – ein zentrales Zukunftsthema ist. So setzte sich ein Erforscher der Sterne auch für die Gestaltung einer winzigen Welteninsel ein.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

Zum Autor:

Rudolf Taschner ist Mathematiker an der TU Wien und betreibt mit seiner Frau und Kollegen der TU Wien das Projekt math.space im Wiener Museumsquartier. Sein neuestes Buch: „Die Mathematik des Daseins. Eine kurze Geschichte der Spieltheorie“, Hanser-Verlag.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2015)

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