Quergeschrieben

Hinweis bei lästiger Anbiederung: „Du kannst ruhig Sie zu mir sagen!“

Egal, ob Ikea, Airbnb oder Google Nobelpreisträger, Einfaltspinsel oder mich
zum Adressaten haben: Sie duzen diese. Das ist einfach nur erbärmlich stillos.

Google ist mit mir per Du! Der hochmögende Konzern mit einem Marktwert von mehr als 150 Milliarden Dollar, vor dessen Macht sogar Staaten erschauern, dessen hehres Ziel darin besteht, „die Informationen der Welt zu organisieren und allgemein zugänglich und nützlich zu machen“, dieser Gigant behandelt mich wie einen Freund: Klicke ich nach einem fremdsprachigen Begriff, schreibt mir Google: „Begrenze die Suche auf deutschsprachige Ergebnisse. Du kannst Deine Suchsprache in den Einstellungen ändern.“ Der warmherzige Rat eines guten Gefährten! Ich bin entzückt.
Ein wenig aber bin ich enttäuscht, dass Google nicht nur mit mir per Du ist, sondern auch mit x-beliebigen anderen. Auch mit Muttermördern oder Brunnenvergiftern, die von Google die wirksamsten Gifte in Erfahrung bringen wollen und mit denen ich nicht im Entferntesten zu tun haben möchte. Les amis de nos amis sont nos amis – das klappt bei Google jedenfalls nicht.
Das Du von Google ist nicht ein Du, das durch Verwandtschaft begründet ist: Ich bin nicht Googles Bruder – leider (aus finanziellen Gründen). Google ist auch kein Theresianist, wie ich es bin: Unter Theresianisten herrscht die Regel, per Du miteinander zu verkehren. Der ehemalige Ministerpräsident Gautsch hatte einst erfahren müssen, wie der Vater des berühmten Schriftstellers Herzmanovsky-Orlando eine Verletzung dieser Regel gewitzt rächte. (Friedrich Torberg erzählt davon köstlich in seinen „Erben der Tante Jolesch“.)
Vielleicht, so beginne ich Argwohn zu hegen, ist das trauliche Du von Google gar nicht das Du eines mit mir auf Augenhöhe stehenden Freundes? Vielleicht ist es das Du, mit dem die Lehrer ihre Schüler ansprechen, manchmal auch zurechtweisen, tadeln, rüffeln, regelrecht anherrschen. Vielleicht ist es das Du, mit dem in Fernsehkrimis „Tatort“-Kommissare, die Märchenhelden unserer Tage, die perfiden Verdächtigen bei Verhören in die Zange nehmen, ganz zum Gaudium der Zuseher, die endlich bei diesen, miese Ganoven mimenden Kunsttypen ihre aufgestaute Aggression loswerden können, die im wahren Leben von dem, was heute „Anstand“ heißt, abgewürgt wird. Vielleicht ist es das Du, mit dem vor vielen Jahrzehnten Krankenschwestern noch von oben herab Patienten mit Fragen wie: „Na Oma, hat Dir das Essen nicht geschmeckt?“, „Na Opa, wie oft hast Du heute Stuhl gehabt?“ bevormundeten.
Nichts von alldem stimmt, werde ich belehrt: Das Du von Google ist der Ausdruck einer freundlichen Aufnahme meiner Person in eine große, von sonniger Gesinnung geprägte Gemeinschaft. Mit dem Du, mit dem man angesprochen wird, soll die Verbundenheit zu dieser Gemeinschaft besiegelt werden. Man wird dadurch Glied einer unüberblickbaren Kette begeisterter User.
Allein, das will ich nicht. Ich wurde nicht gefragt, ob ich vereinnahmt werden möchte. Noch dazu von jemandem, dessen Du, mit dem er mich anspricht, geheuchelt ist. Denn er ist an meiner Person nicht interessiert, sondern nur an meinem viel zu locker in der Hand gehaltenen Geld.

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