Gerechtigkeit im Schulsystem bedeutet nicht die Uniformisierung

Es wäre ungerecht, wollte man den Schulen verbieten, ihre jeweiligen Vorzüge zu entwickeln. Es wird auch niemals gelingen, alle Schulen gleichsam gleichzuschalten.

Weil die grüne Partei im Bildungsvolksbegehren ihre Forderung nach der Gesamtschule verwirklicht sieht, stimmt sie dieser Initiative freudig zu. Der grüne Bildungssprecher Harald Walser legte als Beleg für ihr Verlangen eine Studie vor, derzufolge Österreichs Schulsystem besonders ungerecht sei. Verglichen mit 18 EU-Ländern und den USA rangiert Österreich auf dem drittletzten Platz – vor Italien und Slowenien.

Es ist eigenartig, dass kaum jemand darauf skeptisch reagierte. Denn Zweifel sind mehr als angebracht: Wurden womöglich absurde Eichungen beim Messen von Gerechtigkeit angelegt? Und was bedeutet überhaupt Gerechtigkeit in einem Schulsystem?

Verteidiger der Gesamtschule replizieren, indem sie ein Beispiel eklatanter Ungerechtigkeit konstruieren: Zwei Schulen sind benachbart. Die erste mit hervorragendem Ruf, eine Eliteinstitution. Die zweite als miserabel verschrien, eine Wartehalle für Jugend ohne Zukunft. Und aus unerfindlichen Gründen wird ein Kind in die zweite, und nicht in die erste geschickt. Wie kann man das verhindern? Indem man alle Unterschiede zwischen Schulen einebnet, lautet die naheliegende Antwort. Man veranlasse, dass alle Schulen gleich gut sind.

Oder alle gleich schlecht.

Die naheliegende Antwort muss nicht immer die beste sein. Hier ist sie es sicher nicht. Denn nie wird es gelingen, alle Schulen gleichsam gleichzuschalten. Dem stehen einerseits die verschiedenen Talente der Lehrer, andererseits die verschiedenen Begabungen der Schüler (in beiden Fällen sowohl der weiblichen wie der männlichen) entgegen.

Besser ist die Antwort, Schulen mögen ihre Verschiedenheit bewahren. Gleich sollen Schulen bloß ihren Auftrag erfüllen, jungen Menschen Fertigkeiten und Kenntnisse so zu vermitteln, dass diese dafür gerüstet sind, sich in der modernen Welt zu bewähren, aussichtsreiche Berufe zu ergreifen, zuversichtlich ihre persönliche Zukunft zu gestalten und staatsbürgerliches Bewusstsein zu entwickeln. Die Erfüllung dieses Auftrags lässt sich auch ständig zentral überprüfen. Und unter diese Minimalforderung darf keine einzige Schule rutschen. Allein hierin bedeutet im Schulsystem Gleichheit auch Gerechtigkeit.

Verschieden aber sollen Schulen bei der Erfüllung des Auftrags sein, sowohl die Charakterbildung der ihnen anvertrauten Mädchen und Buben als auch deren kognitive, kreative, soziale und sportliche Anlagen zu fördern. Alles spricht dafür, dass jede Schule nach eigenem Profil auf das Intellektuelle, das Künstlerische, das Kommunikative, das Handwerkliche oder das Sportliche fokussiert. Wie sonst kann man Begabte fördern und fordern, wie sonst Unbegabte vor Überforderung bewahren?

Es ist eine Mär, niemand könne bei Zehnjährigen erahnen, welche Stärken in ihnen schlummerten, worin ihre Eignungen und Neigungen bestünden. Die Mär wird auch dann nicht wahr, wenn man sie ad nauseam wiederholt. Allein die Beispiele Mozart oder Pascal lehren, dass sich Talente schon weitaus früher manifestieren. Selbst wenn eine Begabung erst später erwacht: einem Schulwechsel sollte in diesem Fall nichts entgegenstehen.

Allerdings hatten weder Mozart noch Pascal mit dem Problem eines wirklich oder nur scheinbar ungerechten Bildungssystems zu kämpfen. Sie gingen nie in die Schule.


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("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.02.2011)

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