Vom "Ausmerzen" des österr. Adels und seiner "Verjudung"

Vor hundert Jahren wurde die Abschaffung adeliger Titel und Würden beschlossen. Bis heute beschäftigt dies die Gerichte, die sogar darüber hinaus gehen.

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Es war am 3. April 1919, als die neugewählte, konstituierende Nationalversammlung Deutsch-Österreichs zu ihrer 8. Sitzung zusammentraf. Im Land waren damals die Folgen des Krieges noch immer zu spüren: Lebensmittelknappheit, Seuchen, Arbeitslosigkeit. Auf der Tagesordnung standen zwei Punkte, die zu sehr emotionalen, heftigen und stundenlangen Debatten führten: Der Landesverweis des ehemaligen Herrscherhauses, der Habsburger, und die Abschaffung des Adels.

Nun ist es logisch und selbstverständlich, dass in einer Republik abgesetzte Herrscher nichts mehr zu sagen und Vorrechte aufgrund der Geburt keinen Platz haben. So gesehen hätten diese Punkte in einer halben Stunde erledigt werden können. Doch studiert man das Protokoll der Sitzung, wird deutlich, dass es um weit mehr als einen Formalakt gegangen ist: Es ging um Schuld, Rache, Neid und Ressentiments. Die Generäle und Offiziere im Krieg stammten durchwegs aus dem Adel, man hatte tatsächlich schwere strategische Fehler gemacht, und dafür präsentierten nun die Abgeordneten die Rechnung. Der Wortführer der Sozialdemokratie, Karl Leuthner, warf dem Adel Feigheit im Krieg und persönliche Bereicherung vor. Deshalb hätten die Adeligen „wahrlich das Recht erworben, dass wir heute Gericht über sie halten, dass wir sie ausmerzen aus dem Buche des Lebens“, rief er in den Saal und erntete frenetische Zustimmung. Es ging also nicht um Vorrechte, Titel oder Ehrenbezeichnungen allein, sondern um viel mehr.

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