Falsch gestellt

Die Frage, ob wir Menschen aus dem Mittelmeer retten sollen oder nicht, ist falsch gestellt. Sie müsste lauten: Warum ist es überhaupt nötig?

Das also ist passiert, als ich auf Urlaub war, in einem süßen Städtchen an der Unteren Adria, sorgenlos und gedankenverloren, in Höhlen schnorchelnd und durch Wellen tauchend und mich daran erfreuend, dass das Wasser klar ist, so klar. Währenddessen sind in diesem Mittelmeer, nicht allzu weit weg, wieder Menschen ertrunken. Schiffe, die Flüchtlinge retten wollten, sind am Auslaufen gehindert worden. Andere Schiffe wurden abgewiesen. Hafen um Hafen steuerten sie an, vergeblich, bis endlich ein Staat sich erbarmte. Und eine Zeitung, die ich lese, seit ich 18 bin, ein Flaggschiff des Bildungsbürgertums, hat die Frage gestellt: „Seenotrettung? Oder soll man es lassen?“ Es gab ein Pro und ein Kontra.

Doch die Frage ist nicht nur Ausdruck der Desensibilisierung unserer Gesellschaft. Sie ist auch falsch gestellt. Sie müsste lauten: Warum ist Seenotrettung überhaupt notwendig? Warum sterben so viele Menschen beim Versuch, nach Europa zu gelangen? Warum können sie nicht, wie das im Fall Österreichs bis 2001 möglich war, außerhalb der EU Asyl beantragen, sondern müssen es irgendwie bis zu uns „schaffen“?


Push- und Pull-Faktoren. Die Antwort: Weil wir das mit der Genfer Konvention nicht ernst meinen. Wir haben uns zwar verpflichtet, Flüchtlinge aufzunehmen, aber diese Verpflichtung ist uns schon lang lästig. Deshalb machen wir es ihnen so schwer wie möglich. Deshalb muss, wer nach Europa will, Schlepper bezahlen, Wüsten überwinden und oft auch das Mittelmeer. Stirbt er dabei, ist es einer weniger. Sterben Hunderte, werden wir uns auch daran gewöhnen, wobei uns natürlich lieber ist, sie sterben weiter weg. Wir spekulieren damit, dass der Tod der einen die anderen abschreckt. Das ist die zynische Rechnung jener, die nur mehr von Push-Faktoren reden, wenn sie den Tod von Menschen meinen. Und wenn sie betonen, dass wir ja „nicht alle aufnehmen können“, dann nicht im Tonfall des Bedauerns, weil ja, so ist es leider. Sondern im Tonfall des Triumphes.

Nun sollen Anlandezentren in Afrika geschaffen werden, und das wäre eigentlich eine super Sache. Wenn. Wenn Flüchtlinge dort wirklich um Asyl ansuchen dürften. Wenn laut Genfer Konvention Schutzbedürftige dann nach Europa weiterreisen könnten. Auf einem sicheren Schiff. Oder per Flugzeug. Wenn also nicht nur die Begüterten, die den Schlepper übers Mittelmeer bezahlen können, Asyl bekämen, sondern auch die Armen, nicht nur die körperlich Fitten, die alle Strapazen auf ihrer Flucht überstanden haben, sondern auch die Schwachen. Nicht nur jene, die bereit sind, ihr Leben zu riskieren.

Wir ahnen alle, dass dem nicht so sein wird.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.07.2018)

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