„Talente-Check“ für Volksschulkinder?

Volksschulkind
Volksschulkind(c) Clemens Fabry
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Ich bin dagegen, Kinder in der dritten Klasse Volksschule einem „Talente-Check“ zu unterziehen, wie das jetzt geplant ist. Warum? Ich bin die Mama von Hannah!

Und da saß ich in diesem freundlichen Klassenzimmer mit dem vielen Montessori-Material, vor mir die Lehrerin, eine sonnige Person, die gern Orange trug und um deren Augen jede Menge Lachfältchen tanzten. Auch jetzt. Trotzdem war mir an diesem Elternsprechtag bange. Bald würde es erstmals Ziffernnoten geben. Was würde die Lehrerin sagen? Wie würde ihr Urteil ausfallen? In der ersten Klasse hatte sich Hannah mit dem Lesen geplagt, in der zweiten mit dem Kopfrechnen, aber mittlerweile klappte doch beides ganz gut, oder? Und wirklich lobte die Lehrerin ihre Fortschritte, eine große Leistung, sagte sie. Und dann kam es: Hannahs Arbeitstempo ließe zu wünschen übrig. Was nicht weiter schlimm sei, worüber wir uns nicht den Kopf zerbrechen sollten. Es gebe eben Kinder, die seien in einer anderen Schulform als dem Gymnasium besser aufgehoben.

Das hat gesessen. Weil es ja stimmte. Es muss wirklich nicht jedes Kind aufs Gymnasium. Und Hannah war tatsächlich langsam. Wenn andere längst im Park herumtobten, grübelte sie im Hort noch über den Hausaufgaben. Sie könne sich nicht konzentrieren, meinten die Betreuer, sei zu schnell abgelenkt. Ich riet ihr, sich einen Tunnel vorzustellen: „Einen Tunnel, den du betrittst, wenn du mit den Aufgaben anfängst. Und dann gehst du und gehst du und gehst erst wieder hinaus, wenn du fertig bist.“ Ich hielt das für eine gute Idee. Aber als ich sie das nächste Mal vom Hort abholte, war sie schon wieder die Letzte und raufte verzweifelt ihr blondes Haar. „Hast du denn das mit dem Tunnel versucht?“, fragte ich. „Ja, schon“– „Und?“ – „Dieser Tunnel steckt voller Geschichten!“

Verunsichernde Ziffernnoten. Was dann passiert ist, kann ich nicht genau sagen. Ich weiß nur: Sie hat es ins Gymnasium geschafft, und der Rest war kein Problem. Hannah fiel das Lernen von Jahr zu Jahr leichter. Mittlerweile ist sie 19 und studiert seit einem Jahr Physik, durchaus erfolgreich übrigens. Und nein, ich will nicht damit angeben, ich will nur klarmachen, dass ein Kind, das in der dritten Klasse Volksschule als nicht gymnasialreif eingestuft worden wäre, im Alter von 19 Jahren die Voraussetzungen für ein Leistungsstipendium erfüllen kann.

Was wohl passiert wäre, hätte man die ohnehin schon stets an sich zweifelnde Hannah in den ersten Klassen Volksschule mit Ziffernnoten noch zusätzlich verunsichert? Oder hätte ein verbindlicher „Talente-Check“, wie er jetzt geplant ist, die Einschätzung der Lehrerin untermauert? Abgesehen vom Stress, den so ein Test für Kinder und Eltern bedeutet: Wie will man bei einem Volksschüler nur einigermaßen verlässlich „Potenziale“ messen? Ich bin wirklich froh, dass Hannah nicht erst jetzt in die Schule kommt.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

www.diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2018)

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