In der Notaufnahme

Im Krankenhaus
Im Krankenhaus(c) Clemens Fabry
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Ein junger Mann verliert vor Schmerzen das Bewusstsein, eine alte Frau geistert umher. Und da ist mein Mädchen, das in einen Plastikbeutel kotzt.

Zunächst einmal: Alles ist gut ausgegangen. Hannahs Blinddarm ist nicht entzündet. Nein, wir wissen immer noch nicht, was es genau war. Ja, nicht einmal, was es ungefähr gewesen sein könnte. Hannah hatte jedenfalls plötzlich stechende Schmerzen in der Nabelgegend. Begann zu erbrechen. Und beides so heftig, dass uns bange wurde. So landeten wir in der Notaufnahme.

Wenn man neben seiner Tochter in der Notaufnahme sitzt, bemerkt man nichts von dem, was rundherum passiert. Man bemerkt nur, dass das eigene Kind schon wieder erbricht. Dass eine freundliche Schwester mit einem fröhlichen Pferdeschwanz eine Speibschüssel vorbeibringt. Dass wir überraschend schnell drankommen. „Frau Eibel“, sagt die Ärztin und meint Hannah. Stellt ihre Fragen. Tastet den Bauch ab. Blut wird abgenommen, ein Zugang wird gelegt, Hannah bekommt Schmerzmittel, wir sollen noch eine Stunde dableiben. So lang braucht der Tropf. Nichts Ernstes, sagt die Ärztin.

Der Wartesaal. Nichts Ernstes, hat die Ärztin gesagt. Schon sind wir wieder im Wartesaal. Erst jetzt registriere ich die grünen Vorhänge. Die gelben Plastik-sesseln. Die anderen Notfälle. Sanitäter schieben einen Mann vorbei, eilig, aber ohne Hektik. Ein Ehepaar starrt vor sich hin. Ein junger Mann neben Hannah krümmt sich vor Schmerzen, er stöhnt zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und verliert kurz das Bewusstsein. Seine Freundin beugt sich über ihn und weiß sich nicht zu helfen. Und ihm natürlich auch nicht.

Ein wenig abgeschieden sitzt eine gebrechliche alte Frau. Sie hat nur ein Unterleiberl an und Jogginghosen. Sie versucht aufzustehen. Einmal, zweimal, dreimal, bis es ihr gelingt. Kurz geistert sie herum, da kommt ein Krankenpfleger vorbei, drückt sie zurück in den Sessel und eilt weiter. Die gebrechliche Frau will das nicht. Sie will nicht bleiben. Sie will gehen, auch wenn sie dabei fällt.

Die Störung. Was habe ich eigentlich erwartet von einer Notaufnahme? Nicht, dass das Leiden so groß ist. Nicht, dass das Personal so knapp ist, zu knapp jedenfalls für die gebrechliche Frau, die keine Zähne mehr im Mund hat, die nach Urin riecht, meine Hand nicht mehr loslässt und etwas erzählt, das ich nicht verstehe. Als ich die freundliche Schwester mit dem fröhlichen Pferdeschwanz darauf hinweise, wird sie sehr schnell grantig. Weil ich den Ablauf störe? Weil sie ein schlechtes Gewissen hat? Weil sie nichts ändern kann? Irgendwann wird die alte Frau abgeholt. Irgendwann verschwindet der junge Mann hinter dem Vorhang. Irgendwann können wir gehen. Keine Ahnung, was dort weiter geschieht.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2018)

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