Finger weg von meinen Töchtern

Meine Tochter ist entsetzt über die Abtreibungsgesetze in Alabama. So empört habe ich sie noch nie gesehen.

Als ich jung war, hatte ich Glück. Jede Menge Sex, nicht immer mit ganz zuverlässigen Mitteln verhütet, und einmal ist sogar das Kondom gerissen, aber passiert ist nix, das heißt keine ungewollte Schwangerschaft und damit auch keine Abtreibung, denn abgetrieben hätte ich natürlich. Weil ich zwar genau wusste, dass ich einmal Kinder haben wollte, unbedingt sogar – aber genauso gut wusste, das wäre der falsche Zeitpunkt: Ich noch mitten in der Ausbildung zur Germanistin und voller Flausen. Und meine Partner . . . Sagen wir so: Ich musste jedenfalls noch länger suchen, bis ich den richtigen Vater für meine Kinder traf. Bei so etwas sollte man nicht hudeln.


Gefahr. Ich schreibe diese Kolumne für meine Tochter. Die ich bekam, als ich für sie bereit war, und die jetzt bald erwachsen ist, aber eben nur bald, und die letzte Woche lesen musste, dass in Alabama Abtreibungen verboten werden sollen. Darüber ist sie empört. Empört, weil dann sogar Frauen, die nach einer Vergewaltigung schwanger werden, ihr Kind austragen werden müssen. Empört, weil ab 2020 die Strafen für einen Arzt, der sich über dieses neue Gesetz hinwegsetzt, deutlich höher sein werden als die Strafen für den Vergewaltiger. Empört, weil die reale Gefahr besteht, dass der mittlerweile vorwiegend republikanisch besetzte Höchstgerichtshof dieses Gesetz zulässt – und damit Abtreibungsverbote in der gesamten USA ermöglicht.

Da saß sie also beim Abendessen und hörte nicht mehr auf zu reden. Dass die Kriminalisierung von Abtreibung doch nicht dazu führe, dass mehr Kinder auf die Welt kämen, sagte sie. Dass damit nur das Leben und die Gesundheit der Frauen aufs Spiel gesetzt würden, sagte sie. Dass sie ja noch nachvollziehen könne, wenn eine Frau gegen das Recht auf Abtreibung auftrete. Aber Männer? Wie ungeheuerlich, dass sich Männer anmaßen, darüber zu urteilen!

Übergriff. So empört habe ich sie noch nie erlebt, so aufgebracht und zornig und irgendwie auch verletzt. Marlene sagt, es fühle sich an wie ein Übergriff. Als würden die Menschen, die sich für ein Verbot von Abtreibungen einsetzen, über sie bestimmen wollen. Über ihren Körper, über ihre Zukunft, über ihr Leben. Und ich denke mir, dass ich nie gedacht habe, dass die mühsam erkämpften Rechte uns Frauen wieder genommen werden könnten – und dass das vielleicht naiv war. Die Vorstellung, sie könnte ungewollt schwanger werden und das Kind dann austragen müssen, obwohl sie doch genauso viele Flausen im Kopf hat wie ich damals, schnürt mir das Herz ab.

Finger weg von meiner Tochter. Von ihr und von ihrer Schwester. Finger weg von allen Frauen!

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2019)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.