Über Gefühle und warum wir uns mit ihnen arrangieren sollten

Nur Zombies zeigen keine Emotionen: Balancierte Emotionalität lässt Menschen lang und glücklich leben.

Wenn noch heute Lehrer von sich geben, dass Emotionen in der Schule nichts verloren hätten, bleibt einem nur noch entsetzt der Mund offen – gilt übrigens auch für Firmenchefs, Politiker und andere Personen, oft männlicher Provenienz. Solche Statements entspringen einer fatalen Mischung aus Unwissen, Missverständnissen und fehlender eigener sozialer Kompetenz. Eine solche Einstellung produziert jede Menge Sand im Getriebe individueller Lebensführung, in Schule, Betrieben und letztlich in der Gesellschaft.

Was man mit solchen Coolness-Aufrufen meint, ist wahrscheinlich die Kontrolle von Gefühlen. Unmotivierte Emotionsausbrüche killen natürlich zwischenmenschliche Beziehungen, privat, wie im Beruf. Das Gegenteil, nämlich reine emotionslose Sachlichkeit übrigens auch. Nur Zombies zeigen nie ihre Emotionen. Auch bei den Gefühlen macht die Dosis eben das Gift. Paul Watzlawicks „Man kann nicht nicht kommunizieren“ müsste man eigentlich damit ergänzen, dass jegliche Kommunikation auf dem Austausch von Befindlichkeiten beruht. Menschen sind die am radikalsten sozial orientierten Tiere, was sich unter anderem in unserer Abhängigkeit von einer sorgsamen sozial-emotionalen Frühbetreuung zeigt; satt, sauber, trocken reicht im ersten Jahr nicht, da kann ein schwerer Beziehungsmangel sogar töten oder für das Leben verkrüppeln.


Der US-Psychologe James Coan analysierte, welche Faktoren Menschen lang, gesund und glücklich leben lassen. Übrig blieb einzig eine balancierte Emotionalität, die Menschen vor allem über geglückte Sozialbeziehungen von der Wiege bis zur Bahre entwickeln können. Erst danach kommt die Erfüllung im Beruf, was ja auch wiederum mit sozialen Netzwerken zu tun hat.

Man braucht sich nicht zu wundern, dass vollelektronische Kommunikation oft zu vulgären Entgleisungen führt; anders als am Telefon, bei dem die Stimme die Emotionen transportiert, fehlt im Chat- und Blogbereich unter Fremden jenes Feedback, welches unser Gehirn benötigt, um Eskalation zu vermeiden.

Man beschimpft einander anonym und ungehemmt, kündigt sogar Beziehungen per SMS. Man muss sich den Emotionen der anderen nicht mehr aussetzen. Freude oder Ärger werden nur noch kognitiv ausgetauscht, die für Befindlichkeiten essenziellen tieferen Hirngebiete, Zwischenhirn, Spiegelneuronen etc. werden ausgetrickst. Zum Preis des Verlustes an Menschlichkeit.

Menschen teilen ihre Affektsysteme mit anderen Tieren, haben aber das komplexeste Gefühlsleben aller Tiere, wenn unsere mit Abstand komplexeste Gesichtsmuskulatur als Maßstab dienen kann. Die dient nämlich nahezu ausschließlich dem Austausch der Befindlichkeit, wie primär auch die Stimme. Mithilfe einer komplexen Sprache können wir uns der Affekte bewusst werden und sie so unter Kontrolle bringen. Damit werden Menschen auch empathiefähig, was die Basis erfolgreicher Beziehungen und Verhandlungen darstellt, selbst wenn diese „sachlicher Natur“ sein sollten.

Erfolgreich-glückliche Menschen müssen sich nicht verstellen, sie kommunizieren emotional rücksichtsvoll und „authentisch“. Die zentrale Bedeutung der Gefühle im Leben, ihre evolutionäre Herkunft, was sie für das Sozialleben bedeuten, Gehirnmechanismen, Genderaspekte, Lebenspraxis und was Philosophen drüber denken, all das diskutieren wir übrigens mit Interessierten im ersten Biologicum im Almtal, 9.-12. Oktober (www.biologicum-almtal.at).

Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau. E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2014)

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