Salzburger Sommertheater: Der Wolf in Großarl

Bereits lang vor dem Wolf ging die Almwirtschaft auch in Österreich stetig zurück, weil ihr eine unfähige Landwirtschaftspolitik den ökonomischen Boden entzog. Chuzpe, nun den Wolf dafür verantwortlich zu machen.

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Zwei Dutzend tote Schafe und eine Handvoll verzweifelter Almbauern hinterließ ein durchziehender Wolf Mitte Juli auf einer Alm in Großarl. Die Tiere und ihre Halter verdienen unser Mitgefühl, aber der Vorfall war zu erwarten. Etwas zynisch könnte man es als Salzburger Sommertheater sehen: Gregor Bloéb gibt den Teufel auf dem Domplatz, der Wolf den auf der Alm.

Bereits im April 2018 riss ein Wolf im Salzburgischen 20 Schafe. Auch damals war das Entsetzen groß, obwohl solche Vorfälle aufgrund der Wolfssituation in Österreich schon lang erwartbar waren. Aber anstatt die Weidetierhalter vorzubereiten, sie von bloßen Opferlämmern zu Mitgestaltern dieser neuen Situation zu machen, anstatt sie rechtzeitig bei der Hand zu nehmen und ihnen unter Anzapfen der reichen EU-Töpfe Alternativen aufzuzeigen, wartet man einfach zu, bis wieder etwas passiert. Und dann faseln Wolfsbeauftragte, Politik und Landwirtschaftsvertreter immer noch von „wolfsfreien Zonen“, obwohl längst klar ist, dass diese weder rechtlich noch praktisch möglich sind. Statt die Sache kreativ gemeinsam mit den Betroffen anzugehen, setzt man auf Abschuss.

Immer noch lässt man die Bauern im Regen stehen, indem man sie darin bestärkt, dass Herdenschutz ohnehin nicht möglich ist. In ein paar Tagen, Wochen und Monaten kommt mit Sicherheit der nächste Wolf, und das Theater geht wieder von vorn los. Man muss nicht paranoid sein, um dahinter Strategie zu vermuten. Bereits lang vor dem Wolf ging die Almwirtschaft auch in Österreich stetig zurück, weil ihr eine unfähige nationale und EU-Landwirtschaftspolitik den ökonomischen Boden entzog.

Reine Chuzpe, nun den Wolf dafür verantwortlich zu machen. Dabei ist er nicht Ursache des Almensterbens. Die stillen Helden dieses Dramas sind die kleinen Almbauern, die oft im Nebenerwerb ein paar Dutzend Tiere auftreiben, weil sie die Almwirtschaft als sinnvolle Tradition und Lebensstil schätzen, obwohl sie davon nicht leben können. Verständlich, dass sie – alleingelassen – mit der Situation überfordert sind. Dabei leisten sie durch Offenhalten der Landschaft wertvolle Dienste für Wanderwirtschaft, und sie praktizieren tiergerechte Haltung. Allerdings sollte man nicht allen Vorurteilen zur Almwirtschaft auf den Leim gehen. Eines davon lautet, dass Almen Horte der Biodiversität sind.

Kann sein, muss aber nicht. Auch auf Almen wird intensiviert, der Vertritt zu vieler auf leicht erreichbare Almen aufgetriebener Tiere tut dem Artenreichtum nicht gut; die weniger erreichbaren Flächen verbuschen. Und immer häufiger wird durch das sinnlose und unökologische Ausbringen von Gülle der Lebensraum Alm vernichtet und so nebenbei auch noch Feinstaub in Mengen produziert. Bereits vor Jahrzehnten fiel die Biodiversität auf den Talwiesen der Überdüngung zum Opfer, jetzt sind die Almen dran. Das braucht niemand. Man muss Almflächen auch nicht mit aller Gewalt offen halten. Ökonomie und Ökologie sind ständig im Wandel.

Wenn man naturnahen Wald zurückkehren lässt, ist das ökologisch akzeptabel und sogar klimarelevant, binden doch Bäume sehr viel CO2. Der Wolf mag katalysieren, aber der Strukturwandel in den Alpen ist menschengemacht.

Kurt Kotrschal, Verhaltensbiologe i. R. Uni Wien, Wolf Science Center Vet-Med-Uni Wien, Sprecher der AG Wildtiere/Forum Wissenschaft & Umwelt.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2019)

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