Der Kia, der sich (ernsthaft) BMW vorknöpft

Ein „Held“, der auf die ganze Marke abstrahlen soll: Der Kia Stinger lockt mit sportlichem Appeal und gutem Preis-Leistungs-Verhältnis umstiegswillige Premiumkäufer.
Ein „Held“, der auf die ganze Marke abstrahlen soll: Der Kia Stinger lockt mit sportlichem Appeal und gutem Preis-Leistungs-Verhältnis umstiegswillige Premiumkäufer.(c) Werk
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Sportlich zu fahren, verwegen im Ausdruck: Der Kia Stinger ist eine Erscheinung. Die Marke wagt sich mit Heckantrieb und Turbo-V6 aufs Terrain der deutschen Premiumgesellen.

Mit dem Kia Stinger ist ein Herzenswunsch in Erfüllung gegangen, zuvorderst der von Hyundai-Kia-Chefdesigner Peter Schreyer.

Der Ex-VW-Mann hatte ein Auto wie dieses immer für notwendig gehalten bei der Marke, und wie ein solcher Held im Portfolio aussehen könnte, skizzierte er mit spektakulären Designstudien.

Kriegerische Assoziation

Inzwischen ist der aus Bayern stammende Schreyer in Seoul zu höchsten Weihen aufgestiegen und hält im Konzern ein Präsidentenamt inne – eine neue Baureihe könnte er trotzdem nicht einfach anschaffen. Dass sich der Stinger – sprich Stinger, nicht etwa Schtinger oder Stinscher; Assoziationen mit der Luftabwehrrakete sicherlich nicht unerwünscht – materialisieren konnte, liegt im Wesentlichen an den Ambitionen der Schwestermarke Hyundai, die eine Heckantriebsplattform samt V6 zur Verfügung stellte.

Der Stinger ist dennoch kein bloßes Derivat eines Hyundai-Modells. Beim Fahrwerk zum Beispiel wurden mit einer völligen Neukonstruktion der Vorderachse ganz eigene Vorstellungen verwirklicht, und zwar jene eines anderen Deutschen, den Kia diesmal von BMW weglocken konnte. Jener Albert Biermann war bereits bei M-Modellen für die Fahrdynamik des Chassis zuständig. Nicht fehlen darf die PR-gerechte finale Abstimmung der Komponenten auf der Nürburgring-Nordschleife.

Dass man dort überhaupt einmal einen Kia sieht, ist an und für sich schon eine Attraktion.

Was soll der Stinger nun sein? Ein klassischer Gran Turismo, sagt Kia, also ein schneller Reisewagen, elegant genug, um auch an besseren Häusern vorfahren zu können.

Die 4,83 Meter Länge beinhalten opulente 2,9 Meter Radstand und einen sehr kurzen vorderen Überhang, während die Heckpartie das optische (und physische) Kraftzentrum der Fließhecklimousine ist. Das Format ist bei uns nicht wahnsinnig in Mode, dabei ist es ein unverändert gültiger Kompromiss aus Platz für Fünf, Windschnittigkeit und ordentlich Laderaum (406 bis 1114 Liter).

Wir hatten das Vergnügen, den Kia zur Einstimmung auf der Rennstrecke auszuführen, wo wir ein umgängliches, gutmütiges Auto ohne Berührungsangst mit dem Grenzbereich erlebten. Ganz lässt sich das ESP nicht deaktivieren, doch dezente Driftwinkel sind schnell hergestellt, und je besser man das Auto in der Hand hat, desto länger die Leine der Regelsysteme. Grundsätzlich werden sie über Fahrprogramme von Comfort bis Sport+ vorgewählt. Die Topmotorisierung ist mit einem sehr hecklastigen Allradantrieb kombiniert, und mit Brembo-Bremsen, die vor allem Standfestigkeit sicherstellen. Der 3,3-Liter-Turbo-V6 arbeitet sich mit viel Einsatz und respektabler Akustik durchs Drehzahlband. Der 2,0-Liter-Vierzylinder mit 256 PS musste sich bei der gleichen Aufgabe erwartungsgemäß ungleich mehr anstrengen, der Stinger kommt doch auf über 1,7 Tonnen Leergewicht. Auf der Straße geht der kleine Benziner aber völlig in Ordnung, auch der 200-PS-Diesel (wahlweise mit Allrad) hat dort gute Figur gemacht. Achtgangautomatik ist Standard.

Der Stinger macht schon auf den ersten Metern Freude zu fahren, er ist agil, aber nicht zappelig ausgelegt. Sich mit BMW zu messen ist keine hohle Phrase. Man staunt, dass es der ab 43.290 Euro teure Stinger nicht billiger gibt als die gut vergleichbare 4er-GT-Serie. Allerdings kommt ein BMW mit karger Ausstattung, während im Kia schon fast alles an Bord ist. Das Spitzenmodell kostet 62.790 Euro.

An Prestige mag es noch mangeln, doch der Stinger ist eine Erscheinung, die auch an Substanz – wie Fahrspaß und guter Verarbeitung – nichts schuldig bleibt. So wirkt im schönen Interieur mit viel aus dem Vollen gefrästen Alu allein das Lenkrad mit dem Markenemblem ein wenig unpassend.

Compliance-Hinweis:
Die Reisen zu Produktpräsentationen wurden von den Herstellern unterstützt. Testfahrzeuge wurden kostenfrei zur Verfügung gestellt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.10.2017)

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