Mercedes X-Klasse: Der Vorarbeiter im Forst und auf der Baustelle

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Mercedes wagt als erster Premiumhersteller den Schritt in das Pick-up-Segment. Eine gelungene Premiere.

Schaffen wir das gleich zu Beginn aus der Welt: Ja, die X-Klasse von Mercedes baut auf dem Nissan Navara auf. Der Pick-up entstand aus der Partnerschaft der Japaner und der Deutschen, auch die Franzosen gehören dazu und haben aus dem Navara den Renault Alaskan gemacht. Der Navara, die X-Klasse und der Alaskan teilen sich die Plattform, die Motoren und das Getriebe.

So weit, so gleich. Sobald man aber in die X-Klasse einsteigt und die Fahrertüre schließt, ist man in einem Mercedes angekommen. So satt fällt nur die Tür eines deutschen Premiumherstellers ins Schloss. Und auch den Innenraum haben wir so noch in keinem Pick-up gesehen. Eher schon in der C-Klasse, von der mehrere Teile stammen.

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Die X-Klasse ist ein nicht ungefährliches Unterfangen für Mercedes. Man kann sich schnell lächerlich machen bei jenen, für die ein Pritschenwagen ein reines Arbeitstier ist; und man kann leicht jene abstoßen, die einen Mercedes zuallererst als nobelste Art der Fortbewegung sehen.

Als erster Premiumhersteller in diesem Segment bewegt man sich mit der X-Klasse also auf einem schmalen Grat. Wobei man in Bezug auf das Arbeitstier bei diesem „Vater“ wenig falsch machen kann: Nissan hat seit vielen Jahrzehnten Erfahrung gesammelt, der Navara gehört weltweit zu den beliebtesten Pick-ups. Außerdem gibt es bei dieser Fahrzeugart grundsätzlich wenig Variationsmöglichkeiten: Ein Leiterrahmen gehört zu einem ordentlichen Pick-up genauso wie eine Starrachse, nur auf die Blattfedern hat man zugunsten von Schraubenfedern verzichtet.

All diese Standards bedeuten freilich Abstriche im Fahrkomfort. Aber hier muss man Mercedes ein Kompliment machen: Das Fahrwerk ist komfortabler als bei der Konkurrenz, nimmt aber dennoch auch rasant gefahrene Kurven, die man mit anderen Pick-ups deutlich gemäßigter angehen würde.

Flüsterer unter den Pick-ups

Grundsätzlich ist ein Pick-up dazu gebaut, schwere Lasten zu transportieren – 1042 Kilogramm können es auf der 1587 mm langen und 1560 mm breiten Ladefläche sein (ausreichend für eine quer transportierte Europalette). Erst wenn er beladen ist, bleibt er hinten wirklich ruhig und schaukelfrei. Solche Gewichtsunterschiede bis zu einer Tonne bedeuten eben zwangsläufig, dass das Fahrwerk ein Kompromiss ist – bei Mercedes ein sehr gelungener.

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Innen ist die X-Klasse ganz klar der Mercedes unter den Pick-ups. Leder, Holzmaseroptik – zum Pkw-Gefühl, das das enorme Fahrzeug – die X-Klasse ist 5,34 Meter lang – verströmt, kommt noch ein Hauch Luxus dazu. Einzig die Gangschaltung ist, ganz untypisch für Mercedes, ein Hebel, der aus der Mittelkonsole ragt. Ein Zugeständnis an die Partner, ebenso wie das Lenkrad, das man lediglich in der Höhe verstellen kann.

Irritierend ist der Mangel an Ablageflächen. Es bleibt der Eindruck, dass man seine Sachen in einem eineinhalb Meter kleineren Auto besser verstauen kann als in diesem Maximalgefährt.

Den auffälligsten Unterschied zu den Mitbewerbern hört man nach dem Starten. Oder eher nicht. So dezent hat bisher noch kaum ein Motor eines Pick-ups in die Fahrerkabine geflüstert. Der 2,3-Liter-Dieselmotor mit 190 PS leistet unauffällig und brav seinen Dienst, der 2,2-Tonner verzögert dank der vier Scheibenbremsen (andere haben hinten nur Trommelbremsen) besser, als er beschleunigt.

Allrad ist zuschaltbar, fürs Gelände steht eine Untersetzung zur Verfügung, gegen Aufpreis gibt es auch eine hintere Differenzialsperre. Nett und hilfreich sind kluge Details, wie das elektrisch zu öffnende Heckfenster und die Beleuchtung der Ladefläche.

Die X-Klasse kostet brutto ab 40.692 Euro, um etwa 1500 Euro mehr als ein vergleichbarer Navara, aber um fast 10.000 Euro mehr als der Einstieg in die Pick-up-Klasse bei Nissan.

Und welcher Arbeiter soll sich jetzt die X-Klasse kaufen? Keiner. Das ist ein Pick-up für den Landbesitzer, der damit seine Latifundien erkundet, für den Bauunternehmer, der ein Arbeitsgerät besitzen, aber sich dennoch von seinen Angestellten unterscheiden will, oder für den Jäger, der den G zu Hause lassen muss, weil er einen Hirsch aus dem Wald holt. Standesgemäß mit Stern.

Mercedes X-Klasse 220D:

Maße: 5340/1920/1819 (L/B/H);
Leergewicht: 2234 kg
Motor: 4-Zylinder Reihenmotor; 2298 cm3, 190 PS; 450 Nm bei 1500 U/minVerbrauch: NEFZ: 7,3 l (Test: 8,6 Liter)
Preis: ab 40.692 Euro brutto

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.04.2018)

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