Volvo S60: Ein Göteborger aus South Carolina

Niedriger, länger, ungekannt dynamisch – so inszeniert sich Volvo um den neuen S60, der in den USA gebaut wird.
Niedriger, länger, ungekannt dynamisch – so inszeniert sich Volvo um den neuen S60, der in den USA gebaut wird.(c) Werk
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Volvo setzt die S60-Baureihe neu auf: Gebaut wird die Limousine in den USA, aufbauen darf sie auf einer Plattform, die eine ganz andere Statur ermöglicht. Länger, breiter, niedriger, zuweilen straff gefedert: Ist das noch Volvo?

Durch „die Hölle einer Transformation“ sei man gegangen, bekannte Volvos Nordamerika-Chef in einem Interview. Gemeint ist die tiefgreifende Um- und Neugestaltung der Modellpalette, die mit dem aktuellen XC90 vor drei Jahren ihren Ausgang genommen hat, plus die Produktion, zu der neben einem Werk in China nun auch eines in den USA gehört.

In der von der chinesischen Mutter Geely finanzierten Fabrik außerhalb von Charleston, South Carolina, laufen bereits Limousinen vom Band – mit Trump, der damals noch Immobilienunternehmer war, hat die Entscheidung pro Amerika also nichts zu tun.

Maschinenstürmer

Auch das Markenbild hat sich gewandelt. Vom trauten Biedermeier im skandinavischen Designchic pfeilt die Marke mit sportlichem Elan in Richtung Avantgarde. Mit allerlei kühnen Ankündigungen gibt man den Verbrennungsmaschinenstürmer. Als Performance-Abteilung wurde die Submarke Polestar ins Leben gerufen. Geely hat zweifellos einiges vor mit der schwedischen Marke, die mit 571.577 verkauften Autos im Vorjahr (noch) zu den ganz kleinen zählt. Für diese Stückzahldimension, zwischen Seat und Lexus gelegen, strahlt die Marke bemerkenswert kräftig. Das rührt von der langen Tradition des Autobauers, den mittlerweile eher ausgemerzten stilistischen Eigenarten und seiner Rolle als Sicherheitspionier. Volvos größter Einzelmarkt ist heute China.

Einen Dieselmotor gibt es schon im neuen S60 nicht mehr. Mit China und den USA als wichtigsten Märkten ist damit nicht viel riskiert. Doch zunächst staunen wir einmal über die Proportionen: Der Vorgänger lässt sich darin kaum erahnen. Es liegt dem S60 auch die neue Plattformarchitektur für quer eingebaute Frontmotoren zugrunde, wie sie der XC90 eingeführt hat: größenvariabel, aufnahmefähig für Elektrokomponenten und laut Volvo ein Maßstab in der Sicherheit durch verstärkten Einsatz hochfester Stähle.

Leicht ist sie allerdings nicht, und eine gute Nummer größer ist der S60 auch geworden: In der Länge hat er um 12,4 Zentimeter zugelegt (4,76 Meter gesamt), im Radstand um fast zehn cm. Minus 4,5 cm in der Höhe lassen das Ganze wunderbar dynamisch dastehen. Es soll sich noch im Fahren zeigen: Das ist wohl der sportlichste Volvo, der bislang gebaut wurde.

Zwei Varianten konnten wir bereits auf Testfahrten ausführen, wobei ein Zweiliter-Vierzylinder immer an Bord ist. Als T6 ist er mit Turbo ausgeführt und leistet 310 PS, als T8 greifen Turbolader, Kompressor und ein Elektromotor ins Geschehen ein, das ergibt 328 (T8 Twin Engine) bis 415 PS in totaler Polestar-Zuspitzung. Allrad haben sowohl T6 als auch T8.

Ein weißes Emblem am Kühlergrill verrät, dass die Tuningabteilung am Werk war. Was nicht unbedingt die Harmonie des Ganzen befördert. Der T8 Polestar hat sich mit allen E-Komponenten gut 200 kg Zusatzgewicht aufgehalst, und über zwei Tonnen sind klar zu schwer für ein Auto der Größenklasse. Dass man etappenweise elektrisch fahren kann, ist eine feine Sache, kommt aber mit den sportlichen Ambitionen des Autos über Kreuz.

Lustvoller Umstieg

In den Kurven stemmt sich eine überaus straffe Fahrwerksabstimmung gegen das Gewicht. Auf schlechteren Straßen ist es mit dem Restkomfort dahin. Zudem mangelt es an Abstimmungsarbeit am Bremsgefühl. Der zugegeben technisch schwierige Übergang vom rekuperativen Bremsen zum mechanischen erzeugt einen ärgerlichen Ruck beim Verzögern, was Beifahrer zuweilen an den Qualitäten des Menschen am Steuer zweifeln lässt. Doch der kann gar nix dafür. Wie ein durchgängiges, transparentes Bremsgefühl aussieht, kann man sich bei den Hybriden von Toyota ansehen.

Umso lustvoller der Umstieg auf den T6, der auf den ersten Metern Leichtfüßigkeit vermittelt. Das Auto hängt gut am Gas und lenkt äußerst willig ein. Hier ist Kurvenspaß ohne monströsen Bremseinsatz zu haben, und ein Rucken beim Heranbremsen an die Kreuzung gibt es auch nicht. Vielleicht kommt der T8 Twin Engine ohne Polestar-Behandlung weniger spitz daher, das wird man sich ansehen müssen. Derweil die klare Empfehlung zum T6, der das Markenbild ungekannt dynamisch interpretiert. Ein T5, mit 250 PS wohl auch ausreichend, ist angekündigt.

Sonst ist noch nicht viel bekannt: Preise, Details zur Ausstattung und Marktstart bei uns folgen erst. Wer dem S60 den weiten Weg aus South Carolina ersparen will, greift ohnehin zum V60 – ein bisschen Kombi darf es bei Volvo immer noch sein.

Compliance-Hinweis:
Die Reisen zu Produktpräsentationen wurden von den Herstellern unterstützt. Testfahrzeuge wurden kostenfrei zur Verfügung gestellt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2018)

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