Das freie Fahren ohne Tempolimit auf deutschen Autobahnen steht wieder einmal unter Beschuss. Die politische Abwehr steht verlässlich, doch wie lang wird, kann sie sich halten?
Es gibt genau zwei Orte auf der Welt, an denen man bei Tempo 250 noch jemandem im Weg sein kann: eine Rennstrecke und die deutsche Autobahn.
Wann immer man glaubt, in einem besonders schnellen Auto zu sitzen, solcherart also befähigt, die gewährte freie Fahrt vollumfänglich auszukosten – nicht etwa, weil man deshalb früher ankäme, höchstens muss man früher tanken –, man sollte stets auf diesen Anblick im Rückspiegel vorbereitet sein: Scheinwerferpaar und Kühlergrill bedrohlich nah herangerückt, dringend die Vorbeifahrt begehrend, vielleicht noch mit Lichthupe eingefordert.
Ja, gerade dann: Wenn die Kolben mit höchstmöglicher Geschwindigkeit in den Zylindern stampfen, Ansaugluft und Kraftstoff den Motor maximal durchsetzen und sich Nennleistung gegen den Luftwiderstand erhebt – gerade dann wird man feststellen: Es gibt immer einen, der noch schneller ist. Oder sein will. Mit der Trödelei von 250 hat man auf der Überholspur nichts verloren, diese Erfahrung will auch einmal gemacht sein.
Deutschland und Haiti
Überholmanöver im Hochgeschwindigkeitsbereich: eine Standardsituation im Rennsport, wo jeder Vettel seinen Hamilton (oder umgekehrt) bis zur nächsten Bremszone hinterherzieht. Aber auf öffentlicher Straße? Das abschnittsweise sogenannte freie Fahren ist ein weltweites Kuriosum, das Deutschland mit Ländern wie Afghanistan, Haiti und Somalia verbindet, wie der deutsche Autor und Satiriker Thomas Gsella schrieb. Nur dass es in den drei anderen Ländern keine Straßen gibt, auf denen sich mit diesem Umstand etwas anfangen ließe, und erst recht keine Autoindustrie, der dies ein Anliegen wäre.