Sportwagen mit Familiensinn

Als Fünftürer wie hier, erstmals auch als Kombi, sprich Traveller zu haben: Ford Focus ST als gut getarnter Sportwagen.
Als Fünftürer wie hier, erstmals auch als Kombi, sprich Traveller zu haben: Ford Focus ST als gut getarnter Sportwagen. (c) Werk
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Wenn Gelüste, aber kein Budget für einen Zweisitzer als Zweitwagen bestehen: Fords Focus ST löst das Dilemma.

Ford in Europa – momentan kein Quell guter Nachrichten: Die Motor Company nimmt ihre 1911 eingerichtete Übersee-Dependance an die Kandare, es wird massiv gespart. Modellversionen, auch ganze Baureihen und vor allem viel Personal werden verabschiedet.

Da mag das jüngste Aufgebot aus Köln, dem Sitz von Ford Europe, ein kleiner, zumindest moralischer Trost sein: In schwierigen Tagen geht der deutschen Performance-Abteilung mit dem Focus ST ein Meisterstück von der Hand. Unter dem frischen Eindruck erster Testfahrten würden wir sagen, dass in dem dicht besetzten Feld der „Hot Hatches“ der aktuell heißeste Beitrag abgeliefert wurde. Aber sehen wir uns einmal das Segment an und was dort wirklich zählt.

Die „heißen Heckklappen“ – es lässt sich eben nicht alles sinnvoll übersetzen – sind Kompaktmodelle, die mit unterschiedlichem Aufwand aufgepeppt sind und so eine Art Sportwagen des kleinen Mannes darstellen, Archetyp: der Golf GTI von 1976.

Die Allround-Talente der Gattung – Platz, Alltagstauglichkeit, aber eben auch dynamische Thrills – erklären ihre Beliebtheit, heute mischt jeder der großen Hersteller mit, von Mainstream bis Premium. Gängiges Leistungsniveau: bis oder sogar über 300 PS. Format: meist Zweiliter-Vierzylinder oder auch kleineres. Mit Turbo lässt sich nahezu alles an Leistung und Drehmoment darstellen, der Charakter der Kraftentfaltung steht aber auf einem anderen Papier.

Hier geht schon die erste Runde an den Focus ST, der mit einem 2,3-Liter-Vierzylinder antritt, eine veritable Höllenmaschine, die ebenso dem Mustang (als V8-Alternative) und dem laufenden Focus RS (dort mit 350 PS) Beine macht. Wie man bei Ford richtig erkannt hat, geht es in dem Fach weniger um das Absingen von Drehzahlhymnen als um spontan verfügbare Power mittels bulligen Drehmoments. Der diesbezügliche „Sweet Spot“ des ST liegt mit 420 Newtonmeter zwischen 3000 und 4000 Touren; massiver Schub also, der auf Wunsch das Abmelken der Höchstleistung von 280 PS bei 5500 Touren vorbereitet. Da bleibt das Haupthaar tief in die Kopfstützen der exzellenten, elektrisch justierbaren Recaros gedrückt, nur kurz unterbrochen von einem quicken Schaltmanöver in bewährter Handarbeit mit kurzen Wegen (Automatik folgt im Herbst, ging uns aber nicht ab).

Begleitet wird das Schauspiel von einem appetitlichen Motorsound, der gemäß aktuellen Lärmvorschriften außen nicht zu laut sein darf, dem innen daher etwas nachgeholfen wird – man hat es dezent genug hinbekommen, sodass es sich nicht affig anhört, man hat sogar etwas von der alten Fünfzylinder-Fanfare beigemischt.

Es gibt Konkurrenten mit Allrad, aber die Disziplin heißt eigentlich Frontantrieb, das spart Kosten, Gewicht und Verbrauch – knifflig mit so viel Power, und nicht allen gelingt das ohne Veitstanz des Lenkrads oder das unglückliche Wimmern der Räder im Ringen um Traktion. Ford hat schon bei zurückliegenden RS-Generationen den größten Aufwand getrieben, zum Know-how einer schlauen Vorderachskonstruktion schlägt sich beim neuen ST nun eine elektronische Differenzialsperre (eLSD), die nicht erst mechanisch Schlupf erkennen muss, um über eine Lamellenkupplung das Antriebsmoment zwischen den beiden Vorderrädern frei zu verteilen, bei Bedarf bis 100 Prozent für das Rad mit mehr Bodenhaftung. Das Antriebsmoment aus der Lenkung wird mit elektronischem Gegensteuern herausgefiltert, sodass am Volant so gut wie nichts mehr ankommt. Den stählernen Griff beider Arme bei jedem Gasgeben – das kann man sich im ST sparen, der Focus setzt klar die Frontantriebsmesslatte in der Klasse.

Damit wäre erst die Tür aufgestoßen zu den Fahrmodi, die der ST erstmals in dieser Form anbietet, diesmal über Tasten am Lenkrad. Ungut hart wird es auch im Sportmodus nicht, „Track“ ist allerdings wirklich für ebenen Belag gedacht. In einem kommenden Fahrbericht werden wir uns intensiver damit beschäftigen. Ein Wort noch zum Preis: Einstiegsvarianten hat man gestrichen, der ST kommt gleich mit allen Extras an Bord, als klassischer Fünftürer (41.000 Euro) oder, mit Familiensinn, erstmals als Kombi (42.500 Euro).

Compliance-Hinweis:

Die Reisen zu Produktpräsentationen wurden von den Herstellern unterstützt. Testfahrzeuge wurden kostenfrei zur Verfügung gestellt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2019)

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