Mit dem Schwertransporter über die Anden

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Extremlogistik. Abseits von Routineaufgaben warten auf Logistiker auch ganz große Herausforderungen – regelrechte Abenteuer.

Marcus Körber ist bei Siemens Österreich für die Logistik im Projekt-Bereich zuständig. In den letzten Monaten hatte Körber eine Aufgabe, die er selbst als die mit Abstand größte und aufregendste seiner Karriere bezeichnet und die der 38-jährige auf seinem weiteren Berufsweg wahrscheinlich kaum noch toppen wird können: Es ging um den Transport von 44 Kesselmodulen, 14 Gasturbinen und 25 Generatoren mit Gewichten zwischen 80 und 160 Tonnen für den Kraftwerksbau. Die schwergewichtigen Teile waren aber nicht auf eine Baustelle irgendwo in Europa zu liefern. Die Zielorte heißen Warnes und Yacuiba und befinden sich in Bolivien. Auf dem Weg dorthin gab es Hindernisse, auf die Logistiker nur selten treffen.

Noch ein relativer Routinejob war es, die Turbinen, Generatoren und Kessel von den Produktionsstätten in Schweden und Korea nach Südamerika zu bringen. „Unser Werk in Schweden ist nahe beim Hafen, der Vorlauf war also unspektakulär.“ 30 bis 40 Tage dauerte es, bis die Teile aus Schweden über den Panamakanal oder die Drakestraße an der Südspitze des amerikanischen Kontinentes beziehungsweise von Korea nach Chile schipperten. Dort begann dann das wahre Abenteuer. „Von den Häfen Arica und Angamos mussten die schweren Bauteile durch die Wüste und über die Anden nach Bolivien transportiert werden“, erzählt Körber. Die Herausforderungen waren vielfältig und begannen damit, dass für den Auftrag fast das gesamte Schwerlastequipment der Region benötigt wurden. „Unseres Wissens nach hatten die Transporteure dort auch keine Erfahrungen mit 160 Tonnen schweren Gütern“, berichtet Körber.

Durch die Atacama

Eine noch größeres Problem waren die Verkehrswege, von denen ein großer Teil keine Straßen in unserem Sinn sind, und vor allem die Brücken auf diesen Verbindungen. Auf zwei Routen, über 1800 und 2200 Kilometer, wurden die Bauteile nach Yacuiba und Warnes transportiert, zwei mittelgroße Städte, etwa 1800 bis 2200 Kilometer von den Häfen entfernt. Der Weg führte durch vier Klimazonen, durch die Atacama-Wüste, die trockenste Wüste der Erde, über die Anden auf 4680 Meter Höhe und wieder hinunter ins bolivianische Tiefland.

Damit alles klappt, setzte Siemens auf akribische Vorbereitung. „Von den Erstkontakten mit dem lokalen Spediteur bis zum Beginn der Transporte vergingen eineinhalb Jahre“, berichtet Körber. Einer seiner Mitarbeiter aus Österreich war seit einem Jahr nahezu ständig vor Ort, bei Bedarf wurden zusätzliche Fachleute eingeflogen, um die Tragfähigkeit von Brücken entlang der Strecke zu prüfen. Dabei stellte sich heraus, dass ein Großteil der rund hundert Brücken auf beiden Strecken nicht für die Schwertransporte geeignet war. Die meisten davon wurden mit zusätzlichen Stahlträgern gestützt. „Einige mussten wir auch umfahren und dafür extra Straßen aufbereiten.“

Die Transporte auf den Straßen starteten im Juli des Vorjahres. Gefahren wurde in Konvois mit bis zu drei Schwertransportern sowie Ersatz- und Begleitfahrzeugen. Trotz der oft abenteuerlichen Verhältnisse – unbefestigten Bergstraßen über die Anden oder Schlammstraßen durch tropische Wälder – wurden alle Transporte ohne ernste Zwischenfälle abgewickelt. Die letzten Bauteile werden in diesen Tagen angeliefert. Körber selbst ist mittlerweile zum Südamerika-Spezialisten geworden: Er war für dieses Projekt elf Mal in Bolivien und viermal in Chile.

Internationale Speditionen führen ebenfalls immer wieder Transporte unter extremen Klimabedingungen oder abseits gewohnter Verkehrswege durch. DB Schenker etwa lieferte nagelneue Porsche Cayenne nach Alaska, berichtet Walter Zehetner, in Österreich für Messen und Ausstellungen verantwortlich. „Dort herrschten Temperaturen bis minus 40 Grad – ideal, um die Autos unter Extrembedingungen zu testen.“ Bei ungefähr plus 40 Grad wurde in einer anderen Destination gearbeitet: DB Schenker brachte vor einigen Monaten hochsensibles Weltraum-Equipment inklusive robotischer Fahrzeuge und Raumfahranzügen in die Wüste des Oman.

Auch Teile eines Siemens-Kraftwerks wurde von DB Schenker transportiert. Für den Bau eines der größten Gaskraftwerke der Welt in Ägypten brachte DB Schenker bis zu knapp 500 Tonnen schwere Turbinen, Generatoren, Transformatoren und Kessel nach Nordafrika. Da ein längerer Landtransport mit diesen Schwergewichten wegen der Straßen und Brücken im Nildelta nicht möglich war, hatte das Logistik-Unternehmen nahe der Baustelle einen Fischerhafen erweitert, mit einem 600-Tonnen-Kran ausgestattet und die schweren Teile dorthin verschifft. Von diesem Hafen mussten sie nur 16 Kilometer auf einer befestigten Straße über Land transportiert werden.

Für Jürgen Kunert gehören das Lösen von Logistik-Aufgaben unter extremen Bedingungen zum täglichen Brot. Er ist Chef-Logistiker des Österreichischen Roten Kreuzes, seine Leistungen sind meist dann gefragt, wenn an den Zielorten Chaos herrscht, die Infrastruktur wegen dramatischer Naturereignisse in Trümmern liegt oder kriegerische Konflikte die normale Versorgung mit Nahrungsmitteln oder Medikamenten verhindern.

Abenteuer Kleinlogistik

„Die Großlogistik ist relativ unspektakulär“, sagt Kunert. Die Hilfsgüter werden aus verschiedenen Ländern zu einem sogenannten „point of entry“, einem Flug- oder Seehafen, ins betroffene Land gebracht. Dort beginnt das eigentliche Abenteuer mit der Kleinlogistik. Transportkapazitäten müssen vor Ort organisiert, befahrbare Straßen gefunden werden, um die Hilfsgüter zu den Betroffenen zu bringen: „Wir arbeiten mit den lokalen Anbietern von Transportmitteln zusammen und bedienen uns aller Möglichkeiten, die angesichts der Infrastruktur-Bedingungen notwendig sind – vom Sattelzug bis zum Esel, vom Helikopter bis zum Tricycle“, erzählt Kunert.

Eine Stärke des Roten Kreuz in Österreich ist eine Emergency Response Unit für Trinkwasseraufbereitung und Hygienemaßnahmen, die weltweit eingesetzt wird. Sie war nach den Erdbeben in Pakistan und Haiti im Einsatz, jetzt sorgt sie im Südsudan bei einem Flüchtlingscamp für Trinkwasser. Die komplette Anlage umfasst 150 Paletten mit einem Gesamtgewicht von knapp 45 Tonnen. „Wir haben sie mit einem Frachtflugzeug nach Juba im Südsudan gebracht. Von dort wurde sie vom per Lkw zum Flüchtlingscamp transportiert“, erzählt Kunert. Bei Notfällen wie den Erdbeben in Haiti oder Pakistan sind die österreichischen Rot-Kreuz-Mitarbeiter mit der Aufbereitungsanlage an Bord des Frachtflugzeuges und organisieren vor Ort deren Transport zum Einsatzort. „Alle Mitarbeiter haben Schulungen absolviert und wissen wie sie sich vor Ort verhalten sollen“, sagt der Rot-Kreuz-Logistiker. Die wichtigste Regel: Das eigene Leben darf nicht gefährdet werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2018)

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